Institutionen für das Fediverse

[Bild: „Maskottchen von Framasoft“ von David Revoy, Lizenz CC-BY: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]

Ein Diskussionsbeitrag

Von tunda

Eine Idee, die sich nicht Institutionalisiert, verpufft.

In der einfachen Definition ist Fediverse 2008 mit dem OStatus-Protokoll und mit identi.ca als dezentrales Digitales Soziales Netzwerk, gestartet. Von Anfang an ist es dezentral strukturiert worden. Wie so oft in Technikkreisen waren ITler die Erfinder und ersten Nutzer der dezentralen und freien Plattform, die ähnlich wie Twitter als Kurznachrichtendienst gestartet ist.

Etliche Iterationen später ist das Fediverse den Kinderschuhen entwachsen. Das Fediverse heute schickt sich an, auch für Personen und Gruppen außerhalb der IT-Bubble relevant zu werden.

Mit zunehmender Relevanz steigen, die Anforderungen an das Netzwerk. Die wichtigsten Anforderungen sind Ausfallsicherheit, Datensparsamkeit, Nutzerfreundlichkeit, Partizipationsmöglichkeit, Weiterentwicklung und Maintenance (Pflege u. Wartung).

Die kleinste organisatorische Einheit im Fediverse wird Instanz genannt. Eine Instanz ist ein Server, auf dem eine Software läuft, also ein Programm, mit dem ein Dienst angeboten wird, der dem Fediverse zugeordnet ist.

Ein Vergleich

Das Fediverse ist wie ein Verkehrsverbund öffentlicher Verkehrsmittel. Eine Instanz kannst du mit einer Haltestelle beim ÖPNV in einem Ballungsgebiet vergleichen. Es gibt große Hauptbahnhöfe, mittelgroße und zahlreiche kleine Haltestellen. Es gibt sie für Regionalbahnen, U-Bahnlinien, S-Bahnstrecken, Buslinien, Straßenbahnen, Rufbusse, Seilbahnen, Fähren und alles, was du dir als ÖPNV vorstellen kannst. Stelle dir nun vor, jedes Verkehrssystem steht für eine Software, die am Fediverse teilnimmt. Beispielsweise stehen die U-Bahnen für Mastodon, einem Kurznachrichtendienst, die Rufbusse für Pixelfed, das ähnlich wie Instagram ist, oder Busse für Peertube, einer Videoplattform. Du kannst im Fediverse wie im echten Leben mit einer Fahrkarte das ganze Netz des ÖPNV nutzen, egal wo du eingestiegen bist. Im Fediverse ist die Fahrkarte der Account, also deine Anmeldung bei einem Dienst.

Im Vergleich zu den proprietären Diensten X, Tik-Tok, Insta & Co stechen die Unterschiede ins Auge. Bei Youtube & Co, um in der Analogie zu bleiben, brauchst du jeweils einen eigenen Fahrschein, und selbst wenn du für Youtube, Tik-Tok und Instagram jeweils eine Monatskarte hast, kannst nicht dein Gepäck von der Bahn in den Bus mitnehmen, weil das die AGBs nicht zulassen. Es ist nicht gewollt, jeder Dienst kocht sein eigenes Süppchen und will die Nutzer an sich ketten.

Im Fediverse kannst du mit einen Account bei der Instanz deiner Wahl, quasi von deiner Haltestelle deiner Wahl aus, überall hin und grundlegende Funktionen von Social Media nutzen: Leuten folgen, Dinge posten, Inhalte sharen, Texte kommentieren, Hashtags folgen usw. Es ist egal, ob deine Freunde sich auf einer anderen Instanz als deiner oder sogar einer anderen Softwareplattform angemeldet haben, du wirst ihnen folgen und ihren Stream abonnieren können uvm. Das ist ein sehr bedeutender Unterschied zu den großen kommerziellen Plattformen. Darüberhinaus gibt es im Fediverse keine Werbung oder toxische Algorithmen.

Das Fediverse langfristig erhalten

Wie ich oben schon erwähnte, ist das Fediverse das Kind von technikbegeisterten Menschen, die das Wissen und Know-How haben, eine Instanz zu betreiben. Es gibt sehr viele dieser Instanzen, die von jeweils nur einem netten Menschen betrieben wird. Für die meisten ist das Betreiben von solchen technischen Elementen ihr Hobby. Um mich nicht falsch zu verstehen: Die meisten haben einen IT-Background und sind technisch sehr versiert in dem was sie tun, aber Dinge ändern sich, Interessen verlagern sich. Der Weiterbetrieb ohne diese eine engagierte Einzelperson ist i.d.R. nicht gewährleistet. Instanzen sterben. Bei kleinen Instanzen, auf denen nur Familie und ein paar Freunde sind, ist dies sicher nicht so schlimm. Wird aber eine Instanz aufgeben oder nicht mehr adäquat gepflegt, auf der viele hundert oder gar tausende und manchmal sogar zehntausende Nutzer registriert sind, dann sind die Folgen weitreichend.

Eine Anforderung an das Fediverse ist Ausfallsicherheit. Diese erreicht man u.a. in einer dezentralen Struktur, aber auch in einer Diversität, was die Betreiber solcher Instanzen betrifft. Es sollen auch weiterhin privat zur Verfügung gestellte Instanzen geben, doch das Fediverse braucht, so mein deutliches Plädoyer, auch Instanzen, die von unterschiedlichsten Institutionen betrieben werden, um als Ganzes langfristig erfolgreich zu bleiben. Institutionen des Überwachungskapitalismus sind aber ausdrücklich ausgenommen, diese braucht das Fediverse nicht. Google is evil und Meta is not your friend, sage ich. (Google ist böse und Meta ist nicht dein Freund.)

Welche Institutionen braucht das Fediverse?

Mit Institution meine ich eine Organisationsform und eine damit verbundene Personalstruktur, mit der eine Instanz verwaltet wird. In diesem Diskussionsbeitrag unterscheide ich vier Gruppen von Institutionen.

Zivilgesellschaft

Die erste nenne ich Zivilgesellschaft. Darauf möchte ich jenseits einer Aufzählung nicht näher eingehen: Vereine, Bürgerinitiativen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, u.ä. und, nicht zu vergessen, Einzelpersonen zähle ich dazu. Die zweite Gruppe nenne ich Öffentlich-Rechtliche. Dazu zähle ich (öffentlich-rechtliche) Medien, Öffentliche Verwaltungen und Behörden etc., Universitäten. Die beiden ersten Gruppen sind, denke ich, noch selbst erklärend. Es braucht aber noch eine dritte Gruppe, um das Fediverse langfristig erfolgreich zu erhalten: Commons-Institutionen.

Commons-Institution

Commons-Institutionen unterscheiden sich von anderen Institutionen in mehreren Punkten. Eine der augenscheinlichsten Eigenschaften von Commons-Institutionen ist, dass sie sich nicht einer einzigen bestimmten juristischen Rechtsform oder gar überhaupt einer bisher bekannten Rechtsform zuordnen lassen. Eine weitere Eigenschaft von Commons-Institutionen ist das, was Commons per Definition sind, nämlich ein gleichrangiges Verhältnis von Menschen, die mit einem Gegenstand verbunden sind. Hier wäre der Gegenstand die Fediverse-Instanz. Das können Clubs, Kollektive, Freundeskreise sein, die personell, thematisch oder ideell in einer tatsächlichen Beziehung zueinander stehen. Kurz gesagt: Die Commons und Commons-Institutionen bestehen aus den Beziehungen, die ihre Mitglieder miteinander haben. Starke Ähnlichkeiten haben Commons mit dem, was wir vielleicht noch als Allmende kennen. Das Allmenderecht gibt es in Deutschland nicht mehr, es wurde seit dem 19. Jahrhundert nach und nach in Neues Recht Überführt. Das letzte noch gültige Allmenderecht (Personenzusammenschlüsse alten Rechts) wurde in Sachsen-Anhalt 2020 Jahre ersatzlos gestrichen. Die Allmendemitglieder wurden enteignet, und die Allmenden wurden an den Staat übertragen.¹

Vernakulärtes Recht² ist in unserem Rechtssystem und Staat nicht vorgesehen. Das muss wieder anders werden. Vernakulärtes Recht braucht ein Mindestmaß an staatlicher Anerkennung. Commons, Allmenden und Digitale Allmenden brauchen eine staatliche Anerkennung und bedürfen gleichzeitig einer Autonomie gegenüber dem Staat. Ein Recht auf Selbstverwaltung. Meiner Ansicht nach sind Commons-Institutionen der Schlüsselfaktor für ein erfolgreiches und langfristiges Fediverse. Dass das Fediverse selber als Commons begriffen wird, würde mich persönlich freuen. Dieses Diskussionspapier soll auch dazu einladen, zu eruieren, diskutieren, ausprobieren, wie solche Commons-Institutionen a) aussehen können und b) wie man ihnen einen Mindestmaß an Schutz zukommen lassen kann.

Kein Big Tech, kein Staat

Abschließend komme ich zur vierten Gruppe. Das sind Institutionen die keine Instanzen im Fediverse betreiben sollten. Der Schutz des Fediverse ist nur gegeben, wenn es für staatliche Akteure uninteressant bleibt. Das klingt wie ein Widerspruch zu dem vorher geschriebenen. Ist es aber nicht, wenn sich staatliche Institutionen wie Ministerien oder Regierungsmitglieder über den Umweg einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung am Fediverse beteiligen. Der Staat, insbesondere Regierungen, sollten keine eigenen Fediverse-Server betreiben. Zu einem ist der Staat nicht das Gegenteil vom Markt, sondern ist selbst Agent des Marktes. Die Maxime des Staates in westlichen Demokratien ist Wachstum, Profit und sprudelnde Steuereinahnen. Zum anderen sollten Regierungen dieser Welt keinen direkten Zugang zu eigenen Medien haben, die sich an ein allgemeines Publikum richten. Der Weg über die Presse und Journalismus ist das, was guten demokratischen Stil ausmacht. Autoritäre oder diktatorische Regime haben Staatsmedien. Das agieren von staatlichen Akteuren, von Geheimdiensten und Armeen im Cyberraum ist ebenso abzulehnen. Polizeiliche Ermittlungen können natürlich auch weiterhin im Fediverse stattfinden.

Ebenso ist der langfristige Erhalt des Fediverse nur gegeben, wenn es für Businessanwendungen uninteressant bleibt. D.h. es dürfen sich keine finanziellen Verwertungsmechanismen etablieren. Werbung und andere toxische Elemente dürfen nicht implementiert werden und müssen verboten bzw. geächtet bleiben. Die derzeitigen Internetgiganten wie Google & Co, Apps wie Bluesky oder Threads dürfen keinen Zugriff auf das freie und dezentrale Fediverse erhalten.

Abschluss

Das Internet war war schon immer das Netz der Netze. Das World Wide Web als Teil des Internets ist zu einem World Wide Warenkorb verkommen, zu einer Plattform des Überwachungskapitalismus. Vielleicht gelingt es uns beim Fediverse nicht die selben Fehler zu machen wie einst mit dem WWW und anderen Diensten des Internet. Dass das Fediverse von Menschen für Menschen bleibt und nicht zu einem Netz von Menschen für Businesslösungen und Überwachungsfantasien wird.

1: Gesetz über die Auflösung der Personenzusammenschlüsse alten Rechts in Sachsen-Anhalt Vom 19. November 2020 und Nichtannahmebeschluss: Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen das Gesetz über die Auflösung der Personenzusammenschlüsse alten Rechts in Sachsen-Anhalt.
2: historisch am Ort herausgebildet und gewachsen, nicht gezielt (von einem Experten) entwickelt.