Commons und Konvivialismus

,
Commons Utopie

[Bild: Sarah Meretz, Lizenz CC-BY: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]

This text is also available in English.

Das »Konvivialistische Manifest« (2014 auf Deutsch erschienen) hat die globale Debatte um die Frage neu formatiert, wie wir das Zusammenleben angesichts von Klimakatastrophe und Finanzkrisen gestalten wollen und müssen. Die Beiträge des Bandes »Konvivialismus. Eine Debatte« (Hg. Frank Adloff und Volker M. Heins, erschienen im Transcript-Verlag) eröffnen nun die Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen des Manifests im deutschsprachigen Raum: Wo liegen seine Stärken, wo die Schwächen? Was hieße es, eine konviviale Gesellschaft anzustreben – in Politik, Kultur, Zivilgesellschaft und Wirtschaft? Welche neuen Formen des Zusammenlebens sind wünschenswert und welche Chancen bestehen, sie durchzusetzen? Acht Mitglieder des Commons-Instituts haben einen Kommentar-Beitrag zu dem Diskussionsband geschrieben (hier als PDF-Download).

Commoning. Zur Kon-struktion einer konvivialen Gesellschaft

Von Britta Acksel, Johannes Euler, Leslie Gauditz, Silke Helfrich, Brigitte Kratzwald, Stefan Meretz, Flavio Stein, Stefan Tuschen

Als Commoners[1] begrüßen wir die Haltung der Manifestautor*innen, verschiedene Positionen und Diskurse in einem gemeinsamen Schreibprozess zusammenzuführen. Ein solcher Prozess erscheint uns als angemessener Weg, sich einer zukunftstauglichen »Kunst des Zusammenlebens« zu nähern. Der Einladung, zu den im Manifest skizzierten Ideen und Vorschlägen beizutragen, sind wir daher gerne gefolgt. Sie hat einen gemeinsamen Denk- und Schreibprozess initiiert, dessen Ergebnis wir hier zur Diskussion stellen. Ausgewählte analytische Aussagen des Manifests waren für uns Ausgangspunkte, sie um die Perspektive des Commoning zu erweitern. Dass dabei erneut Unfertiges notiert wird, liegt in der Natur der Sache. Wir begreifen auch unseren Text als Einladung, das noch Offene und Kontroverse weiterzudenken.

Als Anker für eine Vertiefung des Manifests aus Commons-Perspektive bietet sich der Begriff des con-vivere an. Der Zusammenhang zwischen con-vivere und com-mons liegt auf der Hand beziehungsweise in der Vorsilbe. Wir seien »durch unsere Sprech- und Hörgewohnheiten vollkommen taub geworden […] für den guten Klang des […] ›cum‹, das im Deutschen als Vorsilbe ›kon‹ oder ›kom‹ erscheint«, bedauert Marianne Gronemeyer (o.J.), »[…] die meisten Komposita, die damit gebildet werden, haben den alten Sinn in sein krasses Gegenteil verkehrt. Die Präposition ›cum‹ die einmal ein ebenbürtiges Miteinander im gemeinsamen Tun bezeichnen konnte, dient zunehmend dazu, ein scharfes, unerbittliches Gegeneinander im Kampf um Vorteile, Macht oder Einfluss zu beschreiben. Kon-kurrenten laufen nicht mehr zusammen, sie liegen im Krieg um knappe Ressourcen, das entsprechende englische competition bezeichnet nicht mehr ein gemeinsames Streben, sondern die Anstrengung, einander auszustechen.« (Ebd.)

Ebenbürtiges Miteinander im gemeinsamen Tun – es scheint, als wolle diese Vorsilbe die Essenz des Commoning und der Commons in drei Buchstaben fassen. Tatsächlich verweisen die Begriffe Commoning und Commons auf die uns stets offen stehende Möglichkeit, Zusammenleben im Geiste des so allgegenwärtigen wie weithin zurückgedrängten cum/con zu gestalten. Sie erfassen begrifflich, was im von Frank Adloff verfassten Vorwort zur deutschen Fassung des Manifests (S. 25f.) als Kern der Konvivialismus-Diskussion benannt wird: »Die assoziative, zivilgesellschaftliche Selbstorganisation von Menschen ist […] entscheidend für die Theorie und Praxis der Konvivialität. Der unentgeltliche freie Austausch unter den Menschen kann als Basis einer konvivialen sozialen Ordnung gelten, die sich abgrenzt von einer allein materiell und quantitativ-monetär definierten Version von Wohlstand und des guten Lebens«.

Von Commoning und Commons

»Commoning« ist eine soziale Praxis, für die Commons als Struktur und Arrangement den Rahmen bieten. Letztere kann man als Grundlage einer konvivialen Gesellschaft fassen, ersteres als ihren lebendigen Ausdruck. Commons sind mithin keine Güter, wenngleich sie oft als solche beschrieben werden. Denn Güter sind nicht aufgrund ihrer »natürlichen« Eigenschaften Commons, sondern sie müssen erst dazu gemacht werden. Commons lassen sich im Wesentlichen als institutionelles, rechtliches und infrastrukturelles Arrangement für ein Miteinander – das Commoning – beschreiben, bei dem Nutzung, Erhaltung und Produktion vielgestaltiger Ressourcen gemeinsam organisiert und verantwortet werden. Die Regeln des Commoning werden (idealerweise) im gleichberechtigten Miteinander von Peers festgelegt, deren Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Möglichkeiten individueller Selbstentfaltung verbinden sich dabei mit der Suche nach gemeinsamen Lösungen, sinnerfüllte Tätigkeiten mit der Ausweitung und Vertiefung von Beziehungen sowie die Schaffung materieller Fülle mit der Fürsorge für andere Menschen und die Natur. Dieses Miteinander wurde und wird in unterschiedlicher Ausprägung von Gemeinschaften auf der ganzen Welt praktiziert. Dabei muss das Commoning immer wieder auf den Prüfstand gestellt, aktualisiert und (neu) eingeübt werden. Das wiederum ist alles andere als selbstverständlich und bedarf geeigneter Rahmenbedingungen, die wir gegenwärtig nur spärlich vorfinden.

Ergebnisse von Commoning können traditionell die zukunftstaugliche Nutzung natürlicher Ressourcen, wie Wald, Wasser oder Boden sein. So etwa bei Bewässerungssystemen, für deren gemeinsame Nutzung sich die beteiligten Menschen, die Commoners, Regeln geben, welche eine langfristige Bedürfnisbefriedigung (Bewässerung der Felder, Schutz der Wasserqualität usw.) ermöglichen. Gleichzeitig kann Commoning auch die Grundlage dafür sein, Neues hervorzubringen: Wissen, Hardware, Software, Nahrungsmittel oder ein Dach über dem Kopf. Im Grunde gibt es nichts, was nicht als Commons denk- und gestaltbar wäre. Die Perspektive kann schließlich sein, die menschliche Gesellschaft selbst als das Gemeinsame zu begreifen, das es praktisch anzueignen und nach Maßgabe von Bedürfnissen bewusst und miteinander zu gestalten gilt. Gegenwärtig scheint die Menschheit von dieser Perspektive jedoch weit entfernt zu sein.

Menschliche Hybris oder strukturelles Gegeneinander?

Im Manifest wird unter der Überschrift »Die Mutter aller Bedrohungen« im Zusammenhang mit den großen Menschheitsproblemen die Frage als zentral identifiziert, wie »mit der Rivalität und der Gewalt zwischen den Menschen« (S.  45) umzugehen sei. Diese Hervorhebung scheint berechtigt, schließlich sind Rivalität und Gewalt offensichtliche Erscheinungsformen unseres Zusammenlebens. Sie lassen sich weder ignorieren noch wegdiskutieren. Werden sie jedoch nicht auch auf ihre strukturellen Ursachen zurückgeführt, entsteht der Eindruck, dass die Ursachen ausschließlich in den Menschen selbst zu suchen seien, etwa darin, dass »jeder Mensch danach strebt, in seiner Besonderheit anerkannt zu werden«, wobei eine »gesunde Gesellschaft« es verstehe »zu verhindern, dass sich dieses Streben in Maßlosigkeit, in Hybris verwandelt« (S. 48). Folgerichtig wird die »moralische Frage« gestellt, was die Individuen »sich erhoffen dürfen oder sich untersagen müssen« (S. 50). Es gelte, so die Autor*innen, »den Konflikt zu einer Kraft des Lebens und nicht des Todes und die Rivalität zu einem Mittel der Zusammenarbeit zu machen, zu einer Waffe [sic!] gegen die zerstörerische Gewalt« (S. 48). Wie eine solche Transformation durch moralische Gebote oder politische Maßnahmen zu erreichen wäre, wird indes nicht befriedigend beantwortet.

Ein Blick durch die Commons-Brille eröffnet hier eine Perspektive, weil er die Frage aufwirft, wie wir unsere materiellen und sozialen Lebensbedingungen herstellen. Das verweist auf zugrunde liegende Strukturen und Handlungslogiken – und erhellt so, warum das gesellschaftliche Miteinander sich häufig als ein Gegeneinander darstellt. Um dabei nicht auf der Erscheinungsebene stehen zu bleiben, ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Überlegungen das tägliche Herstellen der Rahmenbedingungen für unser gesellschaftliches Miteinander. Zu eben diesem Rahmen gehört alles, was Gesellschaft ausmacht: Gebrauchsgegenstände, Technologien, Institutionen, Sprachen, Denkweisen, Weltanschauungen sowie Formen des Umgangs miteinander und mit der Natur. Diese gesellschaftlichen Strukturen sind einerseits Ergebnis bisherigen menschlichen Tuns, andererseits Voraussetzung und Ausgangspunkt für gegenwärtiges und zukünftiges Tun. Das Verhältnis von Strukturen und Handlungen ist also ein reflexives – das Eine speist das Andere ein ums andere Mal. Dies erklärt, warum historische Entwicklungen eine Eigendynamik hervorbringen können, die dazu führt, dass sich Strukturen verfestigen und gegenüber so mancher Handlungsabsicht verselbständigen.

Wenn Strukturen als Rahmen des gesellschaftlichen Miteinanders die Spielräume und Grenzen ihrer eigenen Veränderbarkeit bestimmen, können sie den Menschen als unverfügbar und äußerlich erscheinen, obwohl sie im Grunde menschengemacht und damit veränderbar sind. Ein Ausdruck dafür sind Menschenbilder, in denen strukturelle Handlungsbeschränkungen der gegenwärtigen Gesellschaft als überhistorische »Natur des Menschen« gedeutet werden. Tatsächlich konnte sich mit dem Kapitalismus ein Menschenbild durchsetzen, nach dem die handelnden Subjekte so erscheinen, »als wären sie getrennte Individuen, die einander gleichgültig sind und einzig darauf bedacht, ihren persönlichen Vorteil zu maximieren« (S. 54; Herv. i.O.).

Die moderne Gesellschaft ist von einer Eigendynamik geprägt, die Geld zum Dreh- und Angelpunkt unseres Miteinanders gemacht hat. In immer mehr Lebensbereichen wird nur noch getan, was »sich rechnet«. Immer mehr Tätigkeiten werden auf warenförmige Verwertbarkeit ausgerichtet, was einen stets anschwellenden Güterstrom hervorbringt, der in erster Linie zum Verkauf auf Märkten bestimmt ist. Für die Produzent*innen dienen primär weder die Tätigkeiten selbst noch die durch sie hervorgebrachten Waren der konkreten Bedürfnisbefriedigung – sie sind in der Regel ein Mittel zum Zweck des Gelderwerbs. Das Geld wiederum benötigen sie, um als Konsument*innen Güter und Dienstleistungen einzukaufen. Da die Waren von Unternehmen und Solo-Kleinunternehmer*innen hergestellt werden, die untereinander um ihren Absatz konkurrieren, müssen diese ihren Gewinn beständig reinvestieren, um sich im Wettbewerb behaupten zu können. Damit wird Geld zum Selbstzweck: Es wird eingesetzt, um daraus mehr Geld zu machen, das wiederum investiert werden muss, um auch künftig noch Geld verdienen zu können. In dieser Funktion wird Geld zum Kapital – nicht ohne Grund werden derart verfasste Gesellschaften als kapitalistisch beschrieben.

Im Äquivalententausch sind die Marktteilnehmenden, auf die Menschen mitunter reduziert werden, einander gleichgültig – so wie auch das Geld ihnen gegenüber gleich-gültig im doppelten Wortsinne ist. Armen kostet ein Brot genauso viel wie Reichen. Als Konkurrierende (im nicht-konvivialistischen Sinne) sind sie füreinander sogar eine potenzielle Existenzbedrohung. Des Einen Verlust ist des Anderen Gewinn. Kooperationen und partielle Bündnisse sind damit nicht ausgeschlossen, doch auch sie haben häufig nur den Zweck, im Konkurrenzkampf erfolgreicher zu bestehen als andere. Dabei besteht die Konkurrenz gleich auf mehreren Ebenen: Unternehmen konkurrieren auf dem Markt[2] um die Kund*innen, Konsument*innen konkurrieren um günstige Angebote, Bewerber*innen konkurrieren um Arbeitsplätze, Kolleg*innen um Aufstiegschancen usw. In derartigen Rollen müssen die Tauschenden auf Kosten der jeweils anderen versuchen, das Beste aus dem Tausch herauszuholen – ob es sich bei der verkauften Ware nun um materielle und immaterielle Güter oder die menschliche Arbeitskraft handelt. Personale Beziehungen werden gemäß dieser Logik präformiert, so dass sich »alle Bereiche des Daseins bis hin zu den Affekten und den Freundschafts- oder Liebesbeziehungen einer buchhalterischen, technischen und betriebswirtschaftlichen Logik unterworfen« (S. 55) sehen. Voran kommt, wer die Anderen erfolgreich hinter sich lässt. »Gierig«, »korrupt«, »maßlos« und »skrupellos« zu sein, ist funktionales und vielfach gesellschaftlich nahegelegtes Verhalten. Dieser Logik der Gleichgültigkeit, der strukturellen Gegnerschaft und Vereinzelung liegt die getrennte Weise der Produktion unserer Lebensbedingungen zugrunde: Was als Ware verkauft werden soll, muss der Verfügung derer, die ein konkretes Bedürfnis haben, zunächst einmal entzogen sein. Dieser Ausschluss funktioniert rechtlich in der Regel über das Eigentum, das prinzipiell einem Ausschlussrecht gleichkommt. Über dieses Prinzip wird die Freiheit des Einen zur Grenze des Anderen und die Teilhabe der Einen zur Ausgrenzung der Anderen. Deswegen bezeichnen wir diese Logik des Sich-auf-Kosten-von-anderen-Durchsetzens als Exklusionslogik.[3]

Solidarische Beziehungen müssen explizit gegen die Handlungslogik der Warenproduktion errungen werden, was sie immer prekär macht, weil sie nur funktionieren, solange sie das Überleben im Markt nicht zu stark behindern. Den von der Exklusionslogik ausgehenden Handlungszwängen – die jeden guten Vorsatz schnell zunichtemachen können – ist mit Appellen für mehr Ethik und Moral nur schwer beizukommen. Die Angst, übervorteilt oder ausgenutzt zu werden, kann zu berechtigtem Misstrauen, entsprechenden Absicherungsstrategien und vielfältigen Formen der Ausgrenzung führen. Sie halten die Spaltungen aufrecht, die wir entlang verschiedener sozialer Merkmale finden können: Klasse, Geschlecht, sexuelle Präferenz, Hautfarbe, Alter, Bildung, Sprache usw. Da die Exklusionslogik ausgrenzendes Verhalten belohnt, kann auch die rechtliche Gleichstellung diese Spaltungen nicht wirklich überwinden. Wenn gar mit Verweis auf eine angebliche Chancengleichheit – und im Namen der sogenannten Leistungsgerechtigkeit – Privilegien gerechtfertigt und die jeweiligen Verlierer*innen für ihre Misserfolge individuell verantwortlich gemacht werden, kann formale Gleichberechtigung reale Ungleichheit sogar festigen.

Die Tragik der Märkte

Die beschriebene Tausch- und Geldlogik trägt auch zum im Manifest beklagten Wachstumszwang bei, der im Kern ein Verwertungszwang unter Bedingungen der Konkurrenz ist. Kapital muss »sich rechnen«, also vermehren. Dies gelingt nur, wenn der eigene Marktanteil – auf Kosten Anderer – gesichert oder erweitert werden kann, indem der Marktpreis erreicht oder durch die Verbilligung der Produktion unterboten wird. Und das wiederum wird über Produktivitätssteigerungen durch technische Innovation und – was oft die andere Seite der gleichen Medaille ist – durch geringeren Arbeitseinsatz erreicht. Die derart erhöhte Produktivität erzeugt am Ende mehr Waren, die Absatz finden müssen, um den Ertrag zu halten oder auszuweiten. Mit immer geringerem Arbeitsaufwand werden so immer mehr Dinge mit immer größerem stofflichem und energetischem Ressourceneinsatz produziert – trotz oder gerade durch Effizienzsteigerungen. Da dies alle Konkurrenten am Markt tun, mehr noch: tun müssen, um ihre Existenz zu sichern, entsteht ein Wachstumszwang, dem sich die einzelnen Akteure innerhalb dieser Strukturen nicht entziehen können. Wir können hier von einer »Tragik der Marktlogik« sprechen.

Der »produktiven« Exklusionslogik von Berechnung, Verwertung und Vernutzung steht die »reproduktive« Inklusivität zugewandter und fürsorgender Beziehungen gegenüber. Tatsache ist, dass die sogenannte Reproduktion, die Herstellung und Erhaltung der Grundlagen unseres Lebens, die Basis jeder Gesellschaft ist, ohne die auch kapitalistische Strukturen nicht bestehen können. Weil sie jedoch nicht mit der Konkurrenz- und Exklusionslogik des Marktes kompatibel ist, wird sie in die – meist weibliche – Sphäre des Privaten (Haushalt) ausgelagert. Eine konviviale, das Zusammenleben fördernde Gesellschaft müsste diese Lebensgrundlagen selbst ins Zentrum ihrer Aktivitäten stellen. Dazu gehören auch die Naturgrundlagen unserer Existenz, die in kapitalistischen Zusammenhängen primär auszubeutende Ressource zum Zweck der Verwertung sind. Menschen sind jedoch Teil der Natur und können nicht gegen sie leben, ohne sich selbst zu schaden. Eine menschliche Reproduktion im umfassenden Sinne funktioniert daher nur, wenn sie die ökologische Logik natürlicher Stoff kreisläufe als Voraussetzung und Bestandteil der eigenen Bedürfnisbefriedigung berücksichtigt.

Perspektivenwechsel

Auf der Suche nach grundsätzlichen Alternativen und zur Schärfung unserer Sinne für eine neue »Kunst des Zusammenlebens« müssen wir nach Begriffen und Kategorien suchen, die mit den kritisierten Grundannahmen und Begrifflichkeiten brechen, um uns einer Gesellschaftlichkeit auf Grundlage positiv-reziproker Strukturlogiken zu nähern. Dabei geht es um ganz grundsätzliche Fragen: Wie wollen wir unsere Lebensbedingungen so herstellen, dass niemand unter die Räder kommt – auch kommende Generationen nicht? Und wie können sich alle Betroffenen an diesem Prozess beteiligen? Dieser Ansatz vereint die in moralische, politische, ökologische und ökonomische Kategorien aufgeteilten »großen Fragen« (S. 50), weil er all diese Bereiche nicht als voneinander unabhängig fasst, sondern so aufeinander bezogen denkt, wie sie uns real begegnen.

Das Manifest formuliert vier Prinzipien einer »einzig legitimen Politik«: gemeinsame Menschheit, gemeinsame Sozialität, Individuation und Konfliktbeherrschung (S. 61). Zwar kann man diskutieren, inwiefern es sich bei der in den ersten beiden Prinzipien aufgehobenen Gesellschaftlichkeit des Menschen eher um eine genuine Wesensbestimmung des Menschen als um ein politisches Prinzip handelt – doch ins Bewusstsein zu rufen, dass wir eine Menschheit und die Menschen gesellschaftliche Wesen sind, erscheint uns in jedem Falle sinnvoll. Ebenso unterstützen wir das mit »Individuation« verbundene Ziel, es jeder und jedem Einzelnen zu ermöglichen, eine »besondere Individualität zu entwickeln, indem er seine Fähigkeiten entfaltet, sein Vermögen, zu sein und zu handeln, ohne den anderen zu schaden, im Hinblick auf eine für alle gleiche Freiheit« (S. 61; Herv. i.O.). Unter »Konfliktbeherrschung« wird schließlich verstanden, »sich zu unterscheiden und dabei den Konflikt zu akzeptieren und zu beherrschen« (S. 62).

Entscheidend ist jedoch, dass diese vier Prinzipien dem Handeln nicht im Sinne von moralischen Imperativen vorausgesetzt werden müssen: Unter entsprechenden Bedingungen bringt das Handeln jene Prinzipien tendenziell selbst hervor. In gelingender Commons-Praxis entstehen positiv-reziproke Beziehungen, die es notwendig machen, Konflikte friedfertig und konstruktiv zu lösen. Eine solche Beziehungskultur erweitert die individuelle Freiheit, indem im Prozess des Commoning sowohl die konkreten Besonderheiten der beteiligten Menschen als auch die empfundene Fairness in der Kooperation zur Geltung kommen. Die Alternative zur konkurrenzförmigen Entfaltung der Individualität besteht nicht in der Gleichmachung von Ungleichen, sondern in der Entfaltung Aller in ihrer jeweiligen Besonderheit, und zwar so, dass niemand unter die Räder kommt, dass niemandes Bedürfnisse ignoriert werden und dass der in der exklusionslogischen Praxis wirkende Mechanismus – des Einen Gewinn ist des Anderen Verlust – überwunden wird.

Verantworten und In-Beziehung-Sein

Merkmal der Exklusionslogik der Warenproduktion ist, dass vorankommt, wer sich auf Kosten anderer durchsetzt und dabei partielle Bündnisse eingeht. Dem steht die Inklusionslogik[4] als bestimmendes Merkmal von Commons gegenüber. Hier gedeiht, was genügend viele und geeignete Mitmachende findet. Die grundsätzliche Freiwilligkeit, der in der Warenlogik der Zwang zur (Selbst-) Verwertung gegenübersteht, setzt voraus, dass Strukturen einladend und motivierend sein müssen. Commons-Projekte können nur dann langfristig bestehen, wenn sich die Menschen in ihnen wohl fühlen und auf subjektiv erfüllende und sinnhafte Art und Weise einbringen können. Das geht nur, wenn auch die Anliegen der Anderen berücksichtigt werden. Die Inklusionslogik der Commons ist auf die Entfaltung der konkreten Besonderheit des individuellen Menschen als Voraussetzung für die Entfaltung aller Menschen ausgerichtet. Wenn dies in Commons-Kontexten gelingt und ein Mensch beispielsweise neue Fähigkeiten entwickelt, die er dann einbringen kann, nützt das tendenziell auch allen anderen, weil anstehende Aufgaben besser, einfacher oder von mehr Menschen erledigt werden können. Je größer der Fähigkeitenpool, aus dem kollektiv geschöpft werden kann, desto besser. Diese Beziehungsform der positiven Reziprozität, der potenzialfördernden wechselseitigen Bezogenheit, unterscheidet sich fundamental von der strukturell exkludierenden negativen Reziprozität der Warenlogik. Sie erzeugt nicht Vereinzelung, sondern eine strukturelle Gemeinschaftlichkeit (Meretz 2014).

Eine weitere Differenz zur Warenlogik ist wesentlich: Die Produktion von Waren ist prinzipiell durch fremde Zwecke bestimmt. Waren müssen so beschaffen sein, dass sie verkäuflich sind. Bei Commons geht es um die je eigenen Zwecke, weshalb die Befriedigung der Bedürfnisse auch dann gelingen kann, wenn Markt und Staat entweder versagen oder bestimmten Lebensbereichen gegenüber blind sind. Für »den Markt« ist Bedürfnisbefriedigung nur ein Nebeneffekt und nur dann relevant, wenn diese »marktfähig« ist oder gemacht werden kann. Bedürfnisse, die nicht zum Absatz beitragen, bleiben unberücksichtigt. Sie werden externalisiert. In kapitalistischen Strukturen erfolgt die Vermittlung von Bedürfnissen gesellschaftlich gesehen über den Markt oder den Staat ex post, also nachdem die Waren, mit ihren entsprechenden Nutzen oder Schäden, produziert und zu Markte getragen wurden. Bedürfniskonflikte können daher im Nachhinein nicht mehr aufgelöst werden. Diese Isolation der unterschiedlichen Bedürfnisse und ihre voneinander unabhängige Befriedigung bringt jeden Einzelnen von uns in eine Situation struktureller Verantwortungslosigkeit.

Wir können diese Strukturdefizite nicht individuell kompensieren. Niemand kann alle Externalisierungen kennen, die durch den eigenen Einkauf gefördert werden, geschweige denn sie vermeiden oder beseitigen. Wenn auch das Öko-Waschmittel monokulturell angebautes Palmöl enthält, dann werden die Grenzen ethischen Konsums deutlich. So verfehlen viele Bemühungen, »korrekt einzukaufen« letztendlich ihre intendierte Wirkung. Es mag zwar subjektiv ein »besser als« geben, wirklich emanzipatorisch und selbstbestimmt wird das Handeln dadurch jedoch nicht. Man kann es auch so formulieren: Die faktische Unmöglichkeit verantwortlichen Handelns resultiert in struktureller Selbstfeindschaft. Befriedige ich ein Bedürfnis, so verletze ich ein anderes – von mir selbst oder von Anderen. Umgekehrt schaden Andere mir, ohne es subjektiv zu wollen. Automobilität steht gegen Ruhebedürfnis der Straßenanrainer, Arbeitsplätze gegen saubere Umwelt, CO2-Reduktion »hier« gegen Tropenwalderhaltung »dort« usw. Unser Handeln richtet sich am Ende gegen uns selbst, weil es Bedingungen unterworfen ist, in denen Bedürfnisse nicht aufeinander bezogen sind. Strukturelle Selbstfeindschaft offenbart sich im Gegeneinander unterschiedlicher Partialinteressen, die durch die Personen selbst hindurch gehen.

Die Problematik wird klarer, wenn wir uns erneut der Logik der Commons zuwenden. Hier haben die Menschen die Möglichkeit, ihre unterschiedlichen Bedürfnisse zu internalisieren und ex ante zu vermitteln. Internalisierung bedeutet, Bedürfnisse einzubeziehen und nach einem Weg zu suchen, sie umfassend zu befriedigen. Geschieht dies vor und im Laufe der Produktion, eines Projektes oder Prozesses, wird es möglich, die unterschiedlichen Vorstellungen und Wünsche aufeinander zu beziehen und Konflikte kommunikativ so zu vermitteln, dass sich niemand – etwa aufgrund von Machtungleichgewichten – auf Kosten von anderen durchsetzt. Das ist nicht einfach, und die gegebenen restriktiven Bedingungen legen den konkreten Projektbeteiligten meist Steine in den Weg. Doch grundsätzlich bietet die Inklusionslogik der Commons einen Rahmen zu struktureller Verantwortungsfähigkeit. Eine Garantie für gute Lösungen gibt es gleichwohl nicht, doch nur wer über die produktiven Mittel und Ressourcen für die selbstbestimmte Herstellung der Lebensbedingungen verfügt, hat überhaupt erst die Möglichkeit, auch auf das Ganze bezogen verantwortungsvoll zu handeln.

Commons auf allen Ebenen

Die kapitalistische Ökonomie hat sich in ihrem Verwertungs- und Wachstumszwang gegen die Ökologie verselbständigt. Dabei verweist der Begriff Ökonomie in der lateinisch-wortursprünglichen Bedeutung von »Haushalten« darauf, mit den Ressourcen, die zur Verfügung stehen, die Bedürfnisse aller, so weit möglich, zu befriedigen. Soll eine so verstandene Ökonomie nicht ihre eigene Basis zerstören, so muss sie die Wechselwirkung von menschlichen Bedürfnissen und außermenschlichen Naturzusammenhängen zur Grundlage des Handelns machen. Dieser Idee folgt beispielsweise die Permakultur, die versucht, die Nahrungsmittelproduktion in selbsterhaltende natürliche Kreisläufe einzubetten. Selbstregulationsprozesse in Ökosystemen werden gezielt unterstützt und genutzt, um die Voraussetzungen für eine dauerhafte menschliche Bedürfnisbefriedigung zu erhalten und zu verbessern, anstatt die Naturausbeutung kurzfristig zu maximieren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass alle ökologischen und sozialen Aspekte, die für ein so gestaltetes gesellschaftliches Naturverhältnis erforderlich sind, einbezogen werden. Commons können dafür einen geeigneten strukturellen Rahmen bieten, denn in der inklusiven vorausschauenden Handlungsweise des Commoning geht es darum, die Bedürfnisbefriedigung nicht nur momentan, sondern langfristig sicherzustellen.

Wie auch die hier angebrachten Beispiele suggerieren mögen, werden Commons zumeist mit lokalem Handeln in konkreten Projekten verbunden, in denen sich die Menschen kennen und unmittelbar interagieren können. Eine Übertragung dieses Handlungsrahmens auf regionale oder überregionale Ebenen scheint wegen des (u.a. kommunikativen) Aufwands kaum vorstellbar. Doch aus unserer Sicht gilt der Zeitaufwand für die direkte – und durchaus auch redundante – kommunikative Vermittlung unterschiedlicher Bedürfnisse, vor allem vor dem Hintergrund der durch permanente Verbilligung erzwungenen Zeiteinsparung in der partialisierten Privatproduktion, als »ineffizient«. Jedoch ist eine auf den Commons gründende Weise der Herstellung der Lebensbedingungen gesamtgesellschaftlich betrachtet vermutlich effizienter, im dem Sinne, dass sie eher auf Vorsorge, Erhaltung und Schadensvermeidung als auf Nachsorge, Verschleiß und Schadensbewältigung ausgerichtet ist. Commoning wird zudem oft als individuell befriedigender erlebt, da durch die Freiwilligkeit der produktiven Tätigkeiten in der tatsächlichen Zeitverausgabung die Lebensqualität liegt und diese nicht in die abgespaltene Sphäre der Familie, Ehe, Freizeit, Urlaub etc. ausgelagert ist. Aus Commons-Perspektive geht der Weg hin zu einer zukunftstauglichen Gesellschaftsform nicht über bloßen Verzicht, sondern gerade über ein dauerhaft gutes und erfülltes Leben für alle, welches durch die umfassende Einbeziehung aller Lebensbedürfnisse auch die Einhaltung der planetaren Grenzen einschließt.

Einige weitere Beispiele, die die Vielfalt von Commons-Projekten und deren Potenzial für die Schaffung global-vernetzter Kooperationszusammenhänge illustrieren, seien genannt. »Wikipedia« (wikipedia.org) ist eine Online-Plattform zur offenen Erstellung und Nutzung von enzyklopädischen Artikeln und hat auf diese Weise die proprietären, geschlossenen Pendants wie die »Encyclopedia Britannica« oder den »Brockhaus« auskooperiert[5]. »Wikispeed« (wikispeed.com) ist ein offenes Projekt zur Herstellung von Autos, die modular aufgebaut sind, wenige Ressourcen verbrauchen und die Verfügung über das Gut wieder zurück in die Hände der Nutzer gibt. »Farm Hack« (farmhack.net), »Wikihouse« (wikihouse.org) oder »Opendesk« (opendesk.cc) sind globale Online-Plattformen, auf denen Menschen aus der ganzen Welt Baupläne für landwirtschaftliche Maschinen, für Häuser und für Möbel hochladen, die andere dann entsprechend ihren Bedürfnissen adaptieren und mit den vorhandenen Ressourcen lokal nachbauen können. Diese beispielhafte Projektauswahl könnte beliebig verlängert werden. Spannende Entwicklungen gibt es in allen Bereichen der Produktion: Elektronik, Pharmazie, Biotech, Robotik, Medizin, Kleidung etc. Bei all diesen Projekten sind die Pläne frei zugänglich. Open Source und offene Kooperation sind Designprinzipien, die sich aus der Praxis ergeben und ohne die ein derartiges kollektives Tätigsein nicht möglich wäre.

Bemerkenswert sind auch die tatsächlichen Unterschiede in der physischen Beschaffenheit der resultierenden Produkte verglichen mit ihren Warenpendants. Die Produkte sehen nicht nur anders aus, sie sind in der Regel modular aufgebaut, zugänglich, dokumentiert, reparierbar, haltbar, ressourcenschonend hergestellt etc. Kriterien, die unter Verwertungsbedingungen üblicherweise kaum Beachtung finden, sind hier Konstruktionsprinzipien von Anbeginn der Entwicklung. Allerdings soll hier keine idealistische Schönschreibung betrieben werden – alle heutzutage vorfindlichen Commons-Projekte haben auch mit Problemen umzugehen und tun dies mitunter auf widersprüchliche Art und Weise. Es ist deutlich sichtbar, dass all diese Ansätze im strukturell feindlichen Umfeld kapitalistischer Marktwirtschaft bestehen müssen. Es geht damit auch immer um die Finanzierung von Vorhaben. Hierbei muss sich immer wieder die schwierige Frage gestellt werden, inwieweit sich auf Marktlogiken eingelassen wird oder dem auch in der Finanzierung widerstanden werden kann (etwa durch Crowdfunding, Stiftungsfinanzierung oder Spenden).

Polyzentrische Selbstorganisation

Es ist deutlich geworden, dass wir sowohl marktbasierte als auch auf moralischen Appellen gründende Reformen zur Abmilderung bestimmter Auswüchse kapitalistischer Strukturen für unzureichend halten. Stattdessen erachten wir ein anderes Denken für notwendig sowie strukturelle Veränderungen unserer Produktionsweise, der Herstellung unserer Lebensbedingungen. Commons eröffnen diese Möglichkeit theoretisch wie praktisch. Doch sind sie verallgemeinerbar? Lässt sich eine gesamtgesellschaftliche Perspektive auf dieser Grundlage entwickeln? Lassen sich tatsächlich die notwendigen Güter, Dienste und Sozialstrukturen nicht in Warenform, sondern als Commons herstellen? Es gibt eine Reihe von Indizien dafür, dass diese Frage mit Ja beantwortet werden kann.

Eine auf Commons basierende Gesellschaft lässt sich als soziales Makronetzwerk denken, in dem die dezentralen Commons-Einheiten verteilte Knoten im Netz darstellen. Große soziale Netzwerke bilden über interne Ausdifferenzierung funktionale Cluster und Hubs (Verdichtungen und Knotenpunkte) mit vielen Verbindungen. Sie sind dadurch flexibel restrukturierbar und fehlertolerant, so dass abgetrennte Teilnetze beim Ausfall wichtiger Hubs (z.B. bei Katastrophen) weiterhin ihre Funktion erfüllen können. Diese Eigenschaften wurden bereits in großen Commons-Strukturen wie beispielsweise Bewässerungssystemen beobachtet und als polyzentrische Selbstorganisation gefasst. Anders als in hierarchischen Systemen mit einem Entscheidungszentrum an der Spitze, bilden sich viele Zentren heraus, die jene differenzierten Funktionen wahrnehmen, die eine aufgabenteilige Gesellschaft braucht (Re-/Produktion, Infrastrukturen, Koordination, Planung, Information etc.). Entscheidend ist dabei, dass die spezialisierten Funktionen in das gesamtgesellschaftliche Vermittlungsnetz eingebettet bleiben und auch als Commons organisiert sind. Die gesellschaftliche Vermittlung funktionierte somit nach einer anderen Logik und wäre nicht von der Re-/Produktion getrennt: Weder die Vorstellung einer »unsichtbaren Hand« des Marktes noch staatliche Planung lenkten und leiteten diese Vermittlung, vielmehr organisiert und koordiniert die Gesellschaft sich selbst, orientiert an ihren realen Bedürfnissen.

Ein Perspektivenwechsel ist erforderlich: Statt entfremdeter Planung und Organisation der Produktionsprozesse geht es um die Selbstplanung und Selbstorganisation durch die Menschen – Produzent*innen wie Nutzer*innen. Statt für Andere die Prozesse zu organisieren und zu planen, sind die Bedingungen und organisatorischen Infrastrukturen durch die betroffenen Menschen selbst zu schaffen. Die Frage ist also nicht, ob geplant wird, sondern für und durch wen, wie, wo, und entlang welcher Kriterien. Jede Gesellschaft ist in diesem Sinne eine »Plangesellschaft«. Der Perspektivenwechsel besteht nun darin zu erkennen, dass die Menschen dann ihre Angelegenheiten erfolgreich in die eigenen Hände nehmen können, wenn sie dafür geeignete Entfaltungsvoraussetzungen haben. Diese sind unter warengesellschaftlichen Bedingungen – gleich ob durch Markt, Zentralplan oder Mischformen vermittelt – allenfalls vereinzelt gegeben. Eine auf Commons basierende und Commons schöpfende gemeinschaftlich-vernetzte Produktionsweise kann hingegen die Voraussetzung für eine gesellschaftliche Vermittlung auf Basis polyzentrischer Selbstorganisation schaffen, die ihrerseits die Voraussetzung für die allgemeine menschliche Selbstbestimmung und -entfaltung sein kann.

Zum Schluss

Wir sind davon überzeugt, dass Commons jene »Kunst des Zusammenlebens« repräsentieren können, »die die Beziehung und die Zusammenarbeit würdigt und es ermöglicht, einander zu widersprechen, ohne einander niederzumetzeln, und gleichzeitig für einander und für die Natur Sorge zu tragen« (S. 47). Anders gesagt: Commoning ist – wenn es gelingt – konviviale Praxis und muss als solche immer wieder neu eingeübt werden. Das ist nicht so, weil Commoners die besseren Menschen sind oder einer Ethik folgen, die andere noch nicht verstanden haben, sondern weil Commons eine qualitativ andere Weise sind, die Lebensbedingungen herzustellen – eine Weise, in der es funktional ist, inklusiv und nicht ausgrenzend, ressourceneffizient und nicht -verschleudernd, bedürfnis- und nicht verwertungsorientiert zu handeln. Derartige Lebensbedingungen sind weder das Schlaraffenland noch frei von Konflikten, doch sie sind Voraussetzung dafür, unsere Unterschiede so zu leben und unsere Konflikte so auszutragen, dass niemand mehr unter die Räder kommt.

Literatur

Gronemeyer, Marianne (o.J.): Convivial. Der Name ist Programm, www.convivial.de/about5.html (Zugriff am 30.01.2015).

Holmgren, David (2014): Permakultur. Gestaltungsprinzipien für zukunftsfähige Lebensweisen, Klein Jasedow: Drachenverlag.

Meretz, Stefan (2014): »Grundrisse einer freien Gesellschaft«, in: Tomasz Konicz/Florian Rötzer (Hg.), Auf bruch ins Ungewisse. Auf der Suche nach Alternativen zur kapitalistischen Dauerkrise, Hannover: Heise S. 152-182.

Anmerkungen

[1] Alle Autor*innen sind Mitglieder des 2014 gegründeten Commons-Institut e.V.

[2] In diesem Kontext ist »der Markt« gemeint im Sinne des anonymen Marktmechanismus, der sich im Spiel von Angebot und Nachfrage vorgeblich gesetzmäßig durchsetzt.

[3] Die Exklusionslogik ist zwar tief in die alltäglichen Handlungen der Menschen eingesunken, dies beweist jedoch nicht ihre »Natürlichkeit«.

[4] Die Inklusionslogik schließt Exklusionen nicht per se aus, doch sie verlieren ihre zentrale Funktion. Unter Bedingungen der Exklusionslogik sind Inklusionen nur Mittel zu einem anderen Zweck – nämlich sich gegen Andere effektiver durchsetzen zu können. Anders unter Bedingungen der Inklusionslogik, wo Inklusionen weitere Inklusionen befördern, also Selbstzweck sind. Ausschlüsse sind hier allenfalls dann ein verhandelbarer Mechanismus zum Zwecke der (Erhaltung von) Inklusion, wenn die Inklusionslogik gesellschaftlich nicht bestimmendes Prinzip ist.

[5] Freie Projekte können ihre Kooperation weiter fassen als proprietäre Unternehmen: Jeder kann mitmachen und die Ergebnisse frei nutzen.