Commons und Commoning

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Commons Utopie

[Bild: Sarah Meretz, Lizenz CC-BY: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]

Silke Helfrich und Johannes Euler sind Mitglied im Commons-Institut. Dieser Text ist erschienen in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl, Jg. 44, Heft 1, 2021, DOI:10.5771/2701-4193-2021-1-41, hier als PDF-Download.

Die Neufassung der Commons: Commoning als gemeinwohlorientiertes Gemeinwirtschaften

Von Silke Helfrich und Johannes Euler

1. Einleitung

Eine wissenschaftliche Zeitschrift, die sich jenseits „epistemologische[r] Blickverengung” (Schulz-Nieswandt 2020: 9) eine „morphologische Theorie und Praxis der Gemeinwirtschaft in verschiedenen Trägerschaften“ (ebd.: 1) ins Programm schreibt, ist aus mindestens drei Gründen bestens beraten, sich den Commons – oft als ‚Gemeingüter‘ übersetzt – zuzuwenden. Erstens erhellt der Diskurs um die Commons, dass die Wahl bestimmter Trägerschaften hinsichtlich der Gemeinwohlorientierung zwar relevant, aber nicht entscheidend ist. Commons sind im Wesentlichen nicht als Rechtsform, Struktur oder Institution zu begreifen, sondern als Haltung, Wirtschafts- und Beziehungsweise, die die Sphären des Sozialen, Politischen, Ökonomischen und Rechtlichen durchdringen (all dies kann im Folgenden nur gestreift werden). Zweitens gibt es auch in diesem Feld einige „epistemologische Blickverengungen“, die zu überwinden sind; eine solche liegt etwa der machtvollen Metapher von der so genannten ‚Tragik der Allmende‘ zu Grunde. Drittens beklagte der US-amerikanische Commons-Forscher David Bromley (1992) bereits vor 30 Jahren, dass es schwierig sei, in der umweltpolitischen Literatur, ein weiteres so missverstandenes Konzept wie das der Commons zu finden. Dabei schwang sich – so könnten Beobachter*innen einwenden – die begriffliche Verwirrung rund um den Commons-Begriff seit Beginn der 1990er gerade erst zu neuen Höhen auf, auch dank seiner vielseitigen Verwendung im digitalen Raum.

Neben neuen Anwendungsbereichen und diversen Blickverengungen haben auch Diskursstrategien zur Verwirrung beigetragen und die Commons in Kombination mit den vielgestaltigen Einhegungsbewegungen der letzten 300 Jahre unsichtbar gemacht. Das zeigt sich nicht zuletzt im Ringen um eine adäquate Übersetzung des Begriffs. So fragt der Umweltwissenschaftler Wolfgang Sachs „Wie sollen wir ‚commons‘ im Deutschen nennen? Gemeingüter? Allmende? Gemeinheit? Wo kein Name, da keine Wahrnehmung, das ist die Tragik der Commons im deutschen Sprachraum“ (Helfrich et al. 2010: 48).

Heute, gut 10 Jahre später, neigen wir, die Autor*innen dieses Beitrags, durchaus der ‚Gemeinheit‘ zu, wohl wissend, dass dies eine wenig öffentlichkeitstaugliche Wahl wäre; doch zeigt sich in diesem Wort das Selbstverständliche, das uns gewöhnlich Gemeinsame (nicht das Niedere – diese abwertende Bedeutung hat sich erst im späten 17. Jahrhundert durchgesetzt). Daran hat der Autor und Philosoph Ivan Illich zu Beginn der 1980er Jahre mit seinen Essays zum „Recht auf Gemeinheit“ erinnert. Illich (1982: 7) stritt wortgewaltig für „die Wiedergewinnung von Nutzungsrechten an verschmutzten, zersiedelten, zerwalteten Relikten von Gemeinheiten“, gegen das „Zerreißen […] lebenswichtige[r] Bedeutungsfelder“ (ebd.: 8) und für „Eigenarbeit […] dem neuzeitlichen […] Schaffen von Unterhalt aus wiedererrungener Gemeinheit (ebd.: 9, Hervorh. i. O.).

Ein Nachdenken über die allgemeine Wohlfahrtsproduktion jenseits omnipräsenter Sachzwangsjacken verlangt also, nicht nur alle Trägerschaften und Bereiche derselben zu beleuchten, sondern die Scheinwerfer gerade auf jene Praktiken, Produktionsweisen, Begriffe, Semantiken, Haltungen und Methodologien zu richten, die sich diesen Zwangsjacken seit jeher entzogen haben und noch immer oder auch neu entziehen. Das geschieht in diesem Beitrag über Commons, dem englischen Wort für die Illich‘schen Gemeinheiten, abgeleitet aus dem Lateinischen cum (mit) und munus (Verantwortung, Pflicht, Gabe). Die Etymologie verweist also darauf, dass die Akteure der Gemeinwohlproduktion stets miteinander in Beziehung (genauer gesagt: voneinander abhängig) sind und in Anerkennung dessen andere Modi der Aneignung, Nutzung und Aufteilung lebendig werden können.

2. Verunsichtbarung

2.1 Einhegungen

Um die Verunsichtbarung, die Commons erfahren haben und noch immer erfahren, greifbar zu machen, hilft der Begriff der Einhegung (engl. enclosure). Er bezeichnet zunächst die Einfriedung von Wald oder (Weide-)Land, das sich in Gemeinbesitz befand oder gewohnheitsrechtlich genutzt wurde. Diese ausschließenden Aneignungen gingen häufig mit sogenannten Flurbereinigungen einher. Mit dem aufkommenden Frühkapitalismus vermehrten sich solche Einhegungsbewegungen und leisteten – zuerst in England – der Intensivierung der Landwirtschaft Vorschub sowie der industriellen Verarbeitung und Kommodifizierung ihrer Produkte (Schafzucht → maschinelle Tuchmacherei). In diesem Zuge wurden zahlreiche Vermögenswerte und Subsistenzmittel, von denen ‚die gemeinen Menschen‘ (commoners) direkt abhängig waren, in (fremdes) Privateigentum überführt. Menschen, die gemeinwirtschaftlich oder subsistenzorientiert lebten, wurden zu Lohnabhängigen. Trotz einiger kurzfristiger Erfolge ist der oft erbitterte Widerstand der Betroffenen gegen derartige Einhegungswellen, der bis ins frühe 17. Jahrhundert reichte (Neeson: 1996), langfristig weitgehend erfolglos geblieben.

Die Einhegungen trieben in großen Teilen Europas eine umfassende Änderung der Eigentumsordnung voran. Wer den konkreten sozialen Folgen gegenüber gleichgültig ist, kann diesen Prozess abstrakt als Auflösung der feudalen Rechtsordnung beschreiben und als fortschrittlich deuten. Hartmut Zückert (2003), der die Auflösung der Allmende für den deutschsprachigen Raum ausführlich beschrieben hat, zeichnet ein differenzierteres Bild. Er schreibt:

In England sicherten sich die Lords und ihre Pächter den Löwenanteil an den Commons – ein Skandal, den schon Thomas Morus 1516 […] mit dem berühmten Diktum anprangerte: ‚Schafe fressen Menschen‘. […] Östlich der Elbe war es ärger, die Gutsherren eigneten sich das Gemeinland an und speisten die Bauern mit minimalen ‚Entschädigungen‘ ab. Die durch die Aneignung […] angewachsenen Güter wurden mit halbfreien, der Knute des Gutsherrn gehorchenden Landarbeitern betrieben. Der Staat spielte den Geburtshelfer der neuen Eigentumsordnung in England mit den ‚parliamentary enclosures‘ (also Einhegungen durch Parlamentsgesetze; circa 1760-1820) oder in Preußen 1811/21 mit den Gemeinheitsteilungsordnungen. In Südwestdeutschland dagegen fielen die Allmendteilungen in einem lang währenden Prozess zugunsten der Bauern und Gemeinden aus“ (Zückert 2012: 160 f.).

Der Agrarhistoriker macht hier nicht nur deutlich, wie unterschiedlich Einhegungen in verschiedenen Regionen verliefen, er wirft auch einen genauen Blick auf die Einheger. Im Laufe des 18. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert konnten die Gentry – der grundbesitzende niedere Adel – in der englischen Parlamentskammer House of Commons ihre Position gegenüber dem König stärken, eigene Interessen zur Kontrolle von Land und Wäldern durchsetzen und die Rechte der Commoners aus dem Parlament heraus schwächen (Neeson 1996). Einhegungen geschahen also einerseits über die Macht der wirtschaftlich Stärkeren und andererseits über die Macht des Staates.1

In den letzten Jahrzehnten wurden sie auch direkt über die Technologien durchgesetzt. Ein die Ernährungssouveränität unmittelbar betreffendes Beispiel sind die – euphemistisch – ‚genetische Verwendungsbeschränkungstechnologie‘ genannten Verfahren (Varietal Genetic Use Restriction Technology; V-GURT), die eingesetzt werden, um die Vermehrung von Saatgut durch das Unterbinden der Fortpflanzungsfähigkeit der Pflanze zu verhindern. Hier wird nicht nur das Leben selbst geschleift, sondern der Ansatz erstickt im Wortsinne auch die menschheitsgeschichtliche Selbstverständlichkeit des Saatgutaustauschs im Keim. Ein Beispiel aus der Welt der Kultur- und Wissensproduktion ist der Kopierschutz, der verhindern soll, dass Kund*innen und Konsument*innen Daten vervielfältigen können. Kopiersperren sind in moderne Endgeräte eingebaut und erübrigen eine rechtliche Durchsetzung. Sie bedürfen lediglich der rechtlichen Flankierung, die der ‚technischen Einhegung‘‘ auf dem Fuße folgte. So ist es nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz seit dem 13. September 2003 verboten, „wirksame technische Maßnahmen zum Schutz eines nach diesem Gesetz geschützten Werkes“ zu umgehen (§95a Abs. 1 UrhG). Einen wegweisenden Beitrag zu Sichtbarmachung moderner Einhegungsstrategien leistete der US-amerikanische Jurist James Boyle (2003), der die zumeist über eigentumsrechtliche Mittel stattfindenden künstlichen Verknappungen von Wissen, Ideen und Kreativität als „zweite Einhegungsbewegung“ bezeichnete. Sie sei analog zur „ersten Einhegungsbewegung“ zu verstehen, die im Wesentlichen auf materielle Güter bezogen war, was im Zusammenhang mit der veränderten Rolle von Wissen und Ideen im Produktions- und Wertschöfpungsprozess stehe. Diese Analyse verweist bereits auf die effektivste Form der Einhegung: die Einhegung menschlicher Vorstellungskraft, durch die sich die grundsätzliche Vorstellung dessen ändert, was ‚rechtens‘, ‚gerecht‘ oder ‚richtig‘ ist, und was für selbstverständlich gehalten wird. Einhegungen sind demnach nicht nur faktisch (durch Zäune, Eigentumsrechte, Kopierschutztechnologien oder Saatgutsterilisierung) herstellbar, sondern auch diskursiv. Dabei sind Formen dieser enclosure of the mind so vielfältig wie subtil. Wir möchten uns im Folgenden auf zwei wissenschaftstheoretisch besonders interessante Beispiele beschränken: die Ontologisierung und Kategorisierung von Gütern sowie die Durchsetzung gedanklicher und sprachlicher Bilder wie jenes der Tragik der Allmende.

2.2 Gütertheorie und Tragik der Allmende

Die Gütertheorie ist ein wichtiger Bestandteil moderner ökonomischer Theoriebildung. Basierend auf Arbeiten von Paul Samuelson (1954), Richard Musgrave (1959), James Buchanan (1965) sowie Elinor und Vincent Ostrom (1977) werden Güter – ein in den Wirtschaftswissenschaften recht junger Begriff, der erst mit dem sogenannten neoklassischen Wirtschaftsverständnis zum Durchbruch kam – in vier Arten eingeteilt. Sie werden typischerweise anhand von zwei Unterscheidungen in einer Vierfeldermatrix abgebildet: Einerseits die sogenannte Ausschließbarkeit, also die Schwierigkeit andere Menschen von der Nutzung des betreffenden Guts auszuschließen und andererseits die so genannte Nutzungsrivalität, also die Frage, wie stark ein Gut durch Gebrauch an Nutzen für Andere verliert (siehe Abbildung 1). So wird beispielsweise der Fisch im Ozean gewöhnlich als Allmendegut (oder auch common pool resource) angesehen, da es einerseits schwer ist, Menschen in Küstenregionen vom Fischen abzuhalten (Ausschließbarkeit) und andererseits der Fisch, sobald er aus dem Wasser gezogen wurde, nicht mehr von anderen gefangen werden kann (Verringerung durch Nutzung).


Starke Verringerung bei NutzungSchwache Verringerung bei Nutzung
Geringe AusschließbarkeitAllmende-/GemeingutÖffentliches Gut
Hohe AusschließbarkeitPrivates GutKlubgut
Abbildung 1: Die konventionelle Güterklassifikation

Diese Gütermatrix ist nicht nur die einflussreichste theoretische Klassifizierung von Gütern, sondern sie ist und war von Beginn an ein politisches Werkzeug. So bezeichnete Buchanan (1965) die von ihm entwickelte Unterscheidung zwischen öffentlichen Gütern und Klubgütern als Theorie der optimalen Exklusion und Inklusion. Die Matrix ist daher nicht nur Ergebnis einer beobachtenden Einteilung, sondern legt auch Aussagen über den besten Umgang mit bestimmten Dingen nahe. Das heißt: Eine Güterart wird über diese Matrix mit der je besten Verwaltungsinstanz verknüpft. So gelten private Güter heute weithin als Domäne der Privatwirtschaft und öffentliche Güter als vornehmlich staatliche Aufgabe.

Das Bild davon, wie Allmende- oder Gemeingüter optimalerweise zu handhaben seien, wird bis heute durch einen der einflussreichsten Artikel in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften geprägt. Garrett Hardin (1968) beschreibt in „The Tragedy of the Commons“ mit Hilfe eines Gedankenexperiments, dass eine Wiese, die für alle zugänglich ist, zwangsläufig übernutzt und somit zerstört werden würde. Den Grund dafür sah Hardin darin, dass jeder Hirte individuell stets einen Anreiz hätte, weitere Tiere auf die Weide zu treiben und den daraus resultierenden Nutzen allein einzustreichen, der entstehende Schaden (weniger Gras pro Tier) hingegen würde durch alle Nutzenden getragen.

Um diesem Dilemma zu entkommen, skizzierte Hardin zwei Wege. Einerseits könnten individuelle Eigentumsrechte an der Wiese vergeben werden. Dann hätten die Eigentümer*innen sowohl den Nutzen als auch die Schäden vollständig in ihrem Verantwortungsbereich und wären daran interessiert, diese in ein optimales Verhältnis zu setzen. Andererseits könne der Staat – oder eine andere zentrale Autorität – diese Aufgabe übernehmen und ‚von Außen‘ dafür sorgen, dass nicht zu viele Tiere auf die Weide getrieben würden. Damit suggeriert Hardin, dass eine gemeinsame Nutzung weniger tauglich ist als marktförmige oder staatliche Lösungen. Mit diesem Gedankengang lieferte er eine unzählige Male wiederholte argumentative Grundlage, um gemeinwirtschaftliche Alternativen sowohl im (mindestens wirtschafts-)wissenschaftlichen als auch im politischen Diskurs über viele Jahrzehnte hinweg unsichtbar zu machen.

3. Neufassung

3.1 Institutionenökonomischer Ansatz

Die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom hat sich demgegenüber gemeinsam mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen der Realwelt zugewandt. Sie konnte mit Hilfe zahlreicher Fallbeispiele zeigen, dass es in allen Teilen der Welt erfolgreiche Fälle gemeinsamen Wirtschaftens gibt (Ostrom 2010). Ihr Buch „Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Staat und Markt“ (engl.: Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action) beginnt Ostrom (1999: 1) mit der Aussage „Weder der Staat noch der Markt ist stets ein Garant für nachhaltige und produktive Nutzung der Naturressourcen“. Davon ausgehend untersucht sie kollektive und gemeinwirtschaftliche institutionelle Gefüge und weist aufgrund ihrer empirischen Befunde Hardins These zurück. Allerdings gesteht Ostrom Hardin zu, einen Spezialfall gemeinsamer Nutzung zu beschreiben – jenen der völlig frei und ungeregelt zugänglichen Ressourcen (open access). Dieser sei allerdings in der Realität kaum anzutreffen (Van Laerhoven/Ostrom 2007).

Würde dem Hardinschen Gedankenexperiment die Grundannahme hinzugefügt, dass Menschen die Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren und Absprachen zu treffen (was sie in der Regel tun), so ließen sich sowohl konzeptionell und auch in spieltheoretischen Experimenten Ergebnisse erzielen, die deutlich von Hardins Vorhersagen abweichen (Ostrom et al. 1994). Van Laerhoven und Elinor Ostrom (2007: 19) folgern entsprechend: „ausführliche Studien der Commons-Forschung haben gezeigt, dass Hardins Schlussfolgerung, den Nutzungsberechtigten müssten eine Zentralregierung oder private Lösungen übergestülpt werden, nicht die einzige Lösung für das von Hardin ausgemachte Dilemma darstellt.“2 Das aus zahllosen Fallstudien extrahierte Herzstück der Commons-Lösungen wird von Ostrom und Kolleg*innen in Form von acht Designprinzipien dargestellt (siehe Abbildung 2).

1. Grenzen Es existieren klare und lokal akzeptierte Grenzen zwischen legitimen Nutzungsberechtigten und Nicht-Nutzungsberechtigten. Es existieren klare Grenzen zwischen einem spezifischen Gemeingütersystem und einem größeren sozio-ökologischen System.
2. Kongruenz Die Regeln für die Aneignung und Reproduktion einer Ressource entsprechen den örtlichen und den kulturellen Bedingungen. Aneignungs- und Bereitstellungsregeln sind aufeinander abgestimmt; die Verteilung der Kosten unter den Nutzungsberechtigten ist proportional zur Verteilung des Nutzens.
3. Gemeinschaftliche Entscheidungen Die meisten Personen, die von einem Ressourcensystem betroffen sind, können an Entscheidungen zur Bestimmung und Änderung der Nutzungsregeln teilnehmen (auch wenn viele diese Möglichkeit nicht wahrnehmen).
4. Monitoring der Nutzenden und der Ressource Es muss ausreichend Kontrolle über Ressourcen geben, um Regelverstößen vorbeugen zu können. Personen, die mit der Überwachung der Ressource und deren Aneignung betraut sind, müssen selbst Nutzungsberechtigte oder diesen rechenschaftspflichtig sein.
5. Abgestufte Sanktionen Verhängte Sanktionen sollen in einem vernünftigen Verhältnis zum verursachten Problem stehen. Die Bestrafung von Regelverletzungen beginnt auf niedrigem Niveau und verschärft sich, wenn Nutzungsberechtigte eine Regel mehrfach verletzen.
6. Konfliktlösungsmechanismen Konfliktlösungsmechanismen müssen schnell, günstig und direkt sein. Es gibt lokale Räume für die Lösung von Konflikten zwischen Nutzungsberechtigten sowie zwischen Nutzungsberechtigten und Behörden.
7. Anerkennung Es ist ein Mindestmaß staatlicher Anerkennung des Rechtes der Nutzungsberechtigten erforderlich, ihre eigenen Regeln zu bestimmen.
8. Eingebettete Institutionen (für große Ressourcensysteme) Wenn ein Gemeingut eng mit einem großen Ressourcensystem verbunden ist, sind Governance-Strukturen auf mehreren Ebenen miteinander ‚verschachtelt‘ (Polyzentrische Governance).
Abbildung 2: Designprinzipien nach Elinor Ostrom (vgl. Cox et al. 2010)

Ostrom (2010: 641) erforschte „institutionelle Arrangements zum Management von Gemeingütern und öffentlichen Gütern auf unterschiedlichen Maßstabsebenen“, um die „breiteren institutionellen Regelmäßigkeiten von Systemen [zu] verstehen, die über einen langen Zeitraum präsent oder abwesend waren“ (ebd.: 652). Methodisch wird dies im von Ostrom geprägten Zweig der Commons-Forschung mittels der eigens entwickelten IAD-Modellierung (Institutional Analysis and Development Framework; siehe Abbildung 3) umgesetzt. Mit dessen Hilfe werden Institutionen und Entwicklungsprozesse untersucht, in denen Menschen mit zahlreichen, teils widersprüchlichen Anforderungen, Normen und Regeln konfrontiert sind. Derart widersprüchliche Anforderungen sind aus dem Alltag bekannt, etwa wenn das Kriterium, ‚für den Arbeitsmarkt‘ individuell ‚flexibel‘ zu sein, zu einer Reduktion der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel führt und letztlich selbst auf deren Bereitstellung, denn wo viele Privat-PKWs unterwegs sind, ‚lohnt‘ der ÖPNV nicht (Helfrich 2015: 39).

Abbildung 2: Designprinzipien nach Elinor Ostrom (vgl. Cox et al. 2010)

Das IAD-Modell wird vom Social-Ecological Systems Framework (SES, Analyserahmen für sozioökologische Systeme) ergänzt, der in seiner klassischen Variante über 40 Variablen abbildet, die in der Analyse sozioökologischer Systeme zu berücksichtigen sind. Durch dieses doppelte Analyseraster weitet sich zwar der Blick auf zahlreiche Einflussfaktoren und deren Wirkungen, doch die affektive Seite sozialer Prozesse, die Qualität der Beziehungsweisen3 bleibt ebenso unerhellt wie spezifische Qualitäten des Wirtschaftens in Commons-Zusammenhängen. Thematisch hat die Ostrom-Schule in den vergangenen Jahren eine deutliche Erweiterung erfahren (Van Laerhoven et al. 2020: 221). Neben den ursprünglichen Hauptbereichen der Ostrom-Schule (Wassermanagement, Fischerei, Forstwirtschaft, Weidewirtschaft und Bewässerung; vgl. Van Laerhoven/Ostrom 2007) etablieren sich in den wissenschaftlichen Publikationen verstärkt auch andere Themen – etwa neue Ort wie urbane und digitale Commons – sowie aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel, Fairness und Gerechtigkeit, Biodiversität und Gender sowie, gemessen an der Häufigkeit des Aufkommens, an inzwischen fünfter Stelle das Thema Commoning (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Thematische Erweiterung der Ostrom-Schule (aus van Laerhoven et al. 2020: 221)

3.2 Commoning

Die Arbeiten von Elinor Ostrom und anderen können als Antwort auf Hardins These – deren Fehlerhaftigkeit der Verfasser 30 Jahre nach Erscheinen eingestanden hat (vgl. Hardin 1998) – angesehen werden. Darauf aufbauend entwickelte sich ein weiterer Diskursstrang, der die ontologischen und gütertheoretischen Grundlagen der bisherigen Commons-Forschung kritisiert und aus dieser Kritik heraus die Bedeutung der sozialen Praktiken des Commoning in den Mittelpunkt rückt. So problematisiert Bennholdt-Thomsen (2012: 108) die Verdinglichung des Commons-Begriffs in der Moderne: „Weder der Sinn noch die Bedeutung der sozialen Verbindlichkeit der Commons werden wahrgenommen, sondern weitgehend nur noch der Gegenstand selbst.“ Auch die Güterklassifikation hält einer kritischen Revision nicht stand. Cowen (1985) argumentiert, dass die Frage der Ausschließbarkeit letztlich von den institutionellen Rahmungen sowie den Produktionsbedingungen abhängig sei. Euler (2020) ergänzt darauf Bezug nehmend, dass zwar die Möglichkeiten der Nutzung von der Beschaffenheit des Gutes abhingen (mit einer Birne lässt sich kein Fahrradschlauch flicken), die tatsächliche Nutzung aber nicht dem fraglichen Gut eingeschrieben sei. Daher sei schlussendlich die tatsächliche, raum-zeitlich spezifische Nutzung für die Einschränkungen der Nutzungsmöglichkeiten anderer verantwortlich: Ein Apfel kann fotografiert (keine Nutzungseinschränkung) oder verzehrt (starke Nutzungseinschränkung) werden (ebd.: 53).

Der Fokus wird also auf die sozialen Praktiken gelegt4 und in Anlehnung an Linebaugh (2008) die historisch übliche Verbform Commoning verwendet. Nicht mehr die vermeintliche (Substanz einer) Sache steht im Mittelpunkt, sondern der Prozess oder wie die mexikanische Soziologin Raquel Aguilar Gutiérrez (2017: 75) sagt: „das Gemeinsame [hört] auf Objekt oder Ding zu sein, das irgendwem gehört und versteht sich als gemeinsames Handeln zur Herstellung, Aneignung oder Wiederaneignung des Gegebenen und Gemachten, des Existierenden und Geschaffenen.“ Die Prozessualität zeigt sich in den Verben und folgerichtig heißt es bei Helfrich (2012: 85): Commons „sind nicht, sie werden gemacht“. Sie sind eine durch Commoning bestimmte und hergestellte „soziale Form“ (Euler 2020: 60).5

Was genau die Praktiken des Commoning ausmacht, ist Gegenstand gegenwärtiger Debatten. Für Linebaugh (2012) ist Commoning das Antonym von Einhegungen und damit das Gegenteil der Trennung des Menschen von den zum Leben notwendigen Subsistenzmitteln. Dieses Verständnis findet sich auch in der lateinamerikanischen Debatte. So beschreibt Gutiérrez Aguilar (2017: 75) das Handeln im Sinne des Gemeinsamen als auf die Erreichung von Zielen ausgerichtet, „die fast immer damit verbunden sind, die Bedingungen kollektiver Reproduktion inmitten drastischer Bedrohungen durch Ausplünderung oder Benachteiligung zu schützen und aufrecht zu erhalten“. Im „gewöhnlichen Alltag“ gehe es, betont Gutiérrez Aguilar, hauptsächlich um den Erhalt und die Pflege kollektiv verfügbarer materieller Ressourcen, um die „materiellen Bedingungen des Zusammenlebens“ zu gewährleisten (ebd.: 68). Diese räumlich, zeitlich und geschichtlich situierte kollektive Produktion habe ihre Wurzeln nicht nur in den uralten Praktiken indigener Gruppen, sie sei ebenso im Gegenwärtigen angesiedelt (ebd.: 73).

Peter Doran (2017: 107) verweist zur Definition von Commoning genau wie Linebaugh auf den Einhegungsbegriff, wenn er schreibt: „Bei Commoning geht es darum, das sichtbar zu machen, was eingehegt, abgeriegelt wurde; es geht um öffentliches Erinnern und das Wiederherstellen des tiefen Zusammenhangs zwischen den Werten-Absichten (values-intentions) einer Gemeinschaft und der Verbindung, die sie mit einer gemeinsam genutzten Ressource herstellen können.“ Das rückt die Verbindungen zwischen den beteiligten Menschen und dem ‚more-than-human‘, wie Bresnihan (2016) es nennt, in den Fokus.

Praktiken des Gemeinsamen erfordern stets den Aufbau der „notwendigen organisatorischen, sozialen, ökonomischen und rechtlichen Formen, die das gemeinsame Nutzen (sharing) der Commons möglich macht“, schreibt Rebecca Hollender (2016: o. S.). Dies wiederum bringe neue Formen „inklusiver, autonomer und kollektiver Governance“ hervor (ebd.). Eine solche politische Lesart führt letztlich zu dem Schluss, dass andere gesellschaftliche Verhältnisse notwendig wären, um das Potential des Gemeinschaffens zu entfalten und geeignete Bedingungen für diese Formen der Governance zu schaffen; nicht nur lokal, sondern auch darüber hinaus. Unabhängig von den ‚äußeren‘ Bedingungen, führt uns gemeinsames Handeln fortwährend die Unsicherheit zwischenmenschlicher Beziehungen und gesellschaftlicher Verhältnisse vor Augen, in denen wir uns immer wieder neu zurechtfinden müssen. Das führt in der Konsequenz nicht nur in die Begegnung mit anderen, sondern auch mit unserem Selbst. In diesem Sinne ermöglicht uns Commoning zu fühlen, dass wir in einer geteilten Welt leben, was uns wiederum helfen kann, kollektive Verantwortung für die Sorge um diese Welt zu übernehmen (Dawney 2013).

3.3 „Politische“ Commons-Theorien

Mit der kollektiven Verantwortung und der Sorge um die Welt, aber auch mit der Idee, dass Commons keine Besonderheit der Menschheitsgeschichte sind, sondern der Normalfall, ist insbesondere die autonom marxistische Lesart des Themas verbunden, die die gesamtgesellschaftliche Transformation in den Mittelpunkt rückt. Dieses ‚Normalfall-Sein‘ habe es vielen Menschen ermöglicht, sich den erdrückenden Arbeitsbedingungen in den Fabriken des Manchesterkapitalismus und damit der Lohnabhängigkeit (lange) zu entziehen (Linebaugh 2014: 62).6 Massimo de Angelis (2017) hat diese Selbstverständlichkeiten im Blick, wenn er das Anliegen verfolgt, Commons als emanzipatorischen Gestaltungsimpuls für postkapitalistische Gesellschaften zu denken. Dabei bedient er sich einer von Niklas Luhmann inspirierten systemtheoretischen Herangehensweise, die er aus der Perspektive des Autonomen Marxismus entwirft. De Angelis macht auch sichtbar, dass neben dem Kapitalzyklus (K → M → K)7 ein Commonszyklus existiert (C → M → C), in dem der Durchgang durch den Markt prinzipiell der direkten Bedürfnisbefriedigung dient und unmittelbar der Reproduktion des Gemeinsamen zufließt. „Commons und Kapital sind zwei voneinander verschiedene, autonome soziale Systeme, was bedeutet, dass beide darum ringen, ‚die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen‘ und sich auf Grundlage ihrer unterschiedlichen, oft miteinander kollidierenden, intern generierten Codes, Maße und Werte selbst zu organisieren (ebd.: 103). Es sei zwar möglich, diesen Commons-Zyklus zu stärken, aber dies sei stets mit Klassen-, Verteidigungs- und (Wieder-)Aneignungskämpfen verbunden, wie auch Caffentzis und Federici (2014) betonen. Letztere weisen zudem darauf hin, dass zur Unsichtbarkeit dieses Commons-Zyklus neben den oben beschriebenen Einhegungsstrategien auch Kooptierungen beigetragen haben (ebd: i95 f.). So treffen Aussagen multilateraler Organisationen wie der Weltbank, die ‚Globalen Commons‘ schützen zu wollen auf Skepsis, da von ihnen in der Regel eine Stärkung des Kapitalzyklus ausgeht; zudem sind solche Aussagen nur aus einer güterzentrierten Sicht auf Commons zu verstehen.

Die Historikerin Silvia Federici (2019) ist die in den letzten Jahren am meisten rezipierte weibliche Stimme aus den Reihen marxistisch inspirierter autonomer Denker*innen. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, den Commons-Ansatz für die Care-Debatten fruchtbar zu machen (und umgekehrt), da beiden dieselbe Erkenntnis zu Grunde liegt: „Aus einer feministischen Perspektive ist einer der anziehenden Aspekte des Commons-Gedankens die Möglichkeit, die Isolation zu überwinden, in der die reproduktiven Aktivitäten ausgeführt werden und damit die Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre aufzubrechen, die viel dazu beigetragen hat, die Ausbeutung an Frauen in den Familien und Haushalten zu verunsichtbaren und zu begründen“ (ebd.: 4).

Wirtschaftsgeographisch geschulte Autor*innen um Gibson-Graham (2016) verweisen eine güterzentrierte Lesart ebenfalls des Platzes und legen den Finger in eine Wunde des autonom-marxistischen Diskurses, indem sie ihm Kapitalzentriertheit attestieren; also eine Denkweise, die Commons immer in Bezug zum Kapitalismus beziehungsweise zu den Kategorien des Kapitalismus setzt (z.B. gleichartig, anders als, ein Bestandteil von, das Gegenteil von). Stattdessen müsse es darum gehen, die Eigenlogiken des Commoning als postkapitalistische Politiken zu begreifen und in den Fokus gegenwärtiger Politiken zu rücken. Das kapitalzentrierte Framing stehe diesem transformatorischen Ansatz eher im Wege: „Wenn dieses Framing an ein Verständnis von Commons als Eigentumsform geknüpft ist, dann wird sich das politisch im Kampf gegen Einhegungen und Privatisierung ausdrücken. Das heißt nun nicht, dass selbige nicht wichtig sind, aber unser Anliegen bezieht sich auf einen Politikmodus, der eine Antwort auf die Rufe nach einem anderen Modus des Menschseins bieten kann“ (ebd.: 207). Diese Politik wäre dann nicht nur postkapitalistisch, sondern würde auch der Spezies Mensch seine Vormachtstellung gegenüber der ‚mehr-als-menschlichen-Welt‘ genommen haben, sie wäre in der geteilten Gegenwart angesiedelt (ebd.).

Die deutliche Hinwendung zu Commoning unter anderem durch die politischen Commons-Theorien, die sich zuletzt auch in der International Association for the Study of the Commons (IASC) zeigt,8 macht die Frage danach dringlich, wie sich diese Praxis inhaltlich bestimmen lässt und zu instituieren ist. Zu den Fokussierungen auf Commoning und politische Kämpfe treten Perspektiven der Verallgemeinerung, nach denen Commons das Potenzial haben, nicht nur auf überschaubare Gruppen bezogen zu bleiben, sondern als Beziehungsweise das gesellschaftliche Zusammenleben zu prägen.

4. Verallgemeinerung

4.1 Keimformtheorie

Eine Möglichkeit, Verallgemeinerung von Commoning zu denken, wird von Simon Sutterlütti und Stefan Meretz (2018) vorgeschlagen. In Anlehnung an die Beschreibung der Entwicklung der menschlichen Psyche in der Kritischen Psychologie Klaus Holzkamps (1985) skizziert Meretz die qualitativ grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen vom Kapitalismus hin zu einer Commons-Gesellschaft als Fünfschrittmodell. Sutterlütti und Meretz (2018: 204 ff.) beschreiben den Transformationsprozess folgendermaßen: Zunächst müssen Vorbedingungen gegeben sein (erster Schritt), aus denen sich ein Entwicklungswiderspruch (zweiter Schritt) sowie eine qualitativ neuartige Form (Keimform) ergeben, die sich im noch dominanten Alten entwickelt und dieses sowohl stützt als auch inkompatibel mit ihm ist. Diese Keimform erfüllt somit im gegebenen gesellschaftlichen Kontext noch eine nützliche Funktion, kann aber gleichzeitig „nicht ohne Verlust der neuen Spezifik ins Alte integriert werden“ (ebd.: 204 f.). Auf den sogenannten Funktionswechsel (dritter Schritt) folgt der Dominanzwechsel (vierter Schritt), in dem sich das Neue gegen das Alte durchsetzt und zum bestimmenden Element wird. Den fünften, abschließenden Prozessschritt bildet die Umstrukturierung, durch den sich das Gesamtsystem am Neuen ausrichtet und seine neue Qualität entfaltet.9

Als Keimform des Kapitalismus bezeichnen Sutterlütti und Meretz (2018: 209) den verallgemeinerten, geldbasierten Tausch. Die Keimform einer Commons-Gesellschaft sehen sie im Commoning und meinen damit Freiwilligkeit und kollektive Verfügung. Im gegenwärtigen Stadium sei beides auf der interpersonalen (zwischenmenschlichen) Ebene vorhanden, der entscheidende Schritt wäre, Freiwilligkeit und kollektive Verfügung auch auf der transpersonalen (gesellschaftlichen) Ebene zu verankern (ebd.: 215), was eine andere Art der gesamtgesellschaftlichen Vermittlung voraussetzt. Die gegenwärtig dominante Marktvermittlung sehen beide Autoren als „exklusionslogisch“ an, was beschreibt, dass Menschen stets „gute Gründe [haben], ihre Bedürfnisse auf Kosten der Bedürfnisse anderer zu befriedigen“ (ebd.: 34; Hervorh. i. O.). Um dieser ‚Exklusionslogik‘ und der Marktvermittlung innewohnenden sachlichen Herrschaft zu entgehen, schlagen Sutterlütti und Meretz eine ‚inklusionslogische‘ Vermittlung vor, in der je meine Bedürfnisbefriedigung positiv auf die Bedürfnisbefriedigung Anderer wirkt (ebd.: 235). Wie genau diese inklusionslogische Vermittlung in der Praxis zu erreichen ist, welche Verfahren, Organisationsstrukturen und Methoden sich dafür eignen, wird nicht im Detail ausgeführt. Hier erweist sich ein anderer Ansatz als nützlich, der Züge eines „literacy Diskurses der Subjektivierung zum homo donans“ (Schulz-Nieswandt 2021:16) trägt.10

4.2 Muster des Commoning

Gemeint ist der prozessphilosophisch unterlegte Musteransatz (Helfrich/Bollier 2019), der auf Christopher Alexander zurück geht. Alexander legt in seinem vierbändigen Hauptwerk The Nature of Order dar, wie sich ‚Lebendigkeit‘ – Zentralkategorie seines Werks – sowohl im Belebten als auch in Unbelebten zeigt. Um Lebendigkeit zu vertiefen, entwirft er das so genannte pattern mining, ein Vorgehen, in dem sich die Analyse dessen, was gestaltet wird mit dem Empfinden verbindet, welches im Ergebnis der Gestaltung in der Betrachter*in erzeugt wird, denn alles in der Welt berührt unsere Inneres, unser Sein (Alexander 2004). Indem Alexander das Fühlen als Erkenntnismittel anerkennt und ihm somit einen Platz in seiner Methodik zuweist, löst er ein Problem des mechanistischen oder cartesianischen Denkens oder – in Alfred N. Whiteheads Worten – das Problem der ‚Gabelung der Natur‘ (bifurcation of nature). Präziser gesagt ist dies eine Gabelung unserer Betrachtungsweise der Natur, denn mit Methoden und Modellen der modernen Physik kann es nicht gelingen, eine Gänsehaut beim Anblick eines Sonnenuntergangs zu erklären, wie Alexander das Problem illustriert.

Im Musteransatz ist nicht nur alles Belebte (Commoners und die ‚more-than-human‘ Lebewesen) als miteinander verbunden gedacht, sondern es verbindet sich auch mit dem Unbelebten – also mit der Materialität der Dinge oder Infrastrukturen, die Bestandteil des Commoning sind. Zudem verlässt der Ansatz den in den Wirtschaftswissenschaften vorherrschenden methodologischen Individualismus. Die erste Mustersprache des Commoning geht – wie die meisten Mustersprachen – von der Beobachtung verschiedener gelingender Praktiken in unterschiedlichen kulturellen und räumlich-zeitlichen Kontexten aus. Diesen Praktiken ist gemein, dass Probleme kollektiv gelöst oder Mittel des Lebens gemeinsam hergestellt, bewirtschaftet und verteilt werden (müssen). Dabei sind die Sphären der Beobachtung so unterschiedlich wie gegenwärtige Lebensverhältnisse: von digitalen Räumen über Lebensmittelmärkte, Institutionen der Gesundheitsfürsorge, Open Hard- und Softwareprojekte bis zum (Land-)Maschinenbau. Als Muster im Sinne Alexanders werden aus dem Vergleich des gelingenden Umgangs mit typischen Problematiken kollektiven Handelns (Entscheidungsfindung, Grenzziehung, Konfliktbewältigung, Regeldurchsetzung, Transparenz, Vertrauensschaffung, Ritualisierung, Verhältnis von Geben und Nehmen, Anerkennung für tätige Beiträge u.v.m.) die gemeinsamen Kerne unterschiedlicher konkreter Lösungen sprachlich gefasst (zur Methodik siehe Helfrich/Bollier 2019: 319-329). Diese Kerne bieten Orientierungen, ohne genaue Methoden und Instrumente zu Implementierung vorzuschreiben, und sind vermutlich auch interkulturell weitgehend stabil. Die Übersetzung eines Musters in die je eigene Lebensrealität kann nur von den Beteiligten bzw. Betroffenen selbst vorgenommen werden und entzieht sich damit jedem „Formalismus der mechanischen Prozeduren“ (Schulz-Nieswandt 2021: 22).

Die erste Mustersprache des Commoning umfasst 33 solcher Muster aus den Bereichen ‚Soziales Miteinander‘, ‚Selbstorganisation durch Gleichranginge‘ sowie ‚(Für-)Sorgendes und Selbstbestimmtes Wirtschaften‘ und bezieht sich vor allem auf Beobachtungen auf der Mikro- und Mesoebene (Helfrich/Bollier 2019). Sie bricht mit der Vorstellung, dass Commoning an enge, übersichtliche oder gar identitäre Zusammenhänge gebunden ist und greift zudem durch die ethische und ‚inklusionslogische‘ Fundierung, die in die Muster eingeschrieben ist, über das postmodern Unverbindliche hinaus. Ein Beispiel dafür, dass Muster des Commoning auf allen Ebenen wirken können (das heißt skalierbar sind), bieten die von Helfrich und Bollier identifizierten Allokationsmuster. Während auf dem verallgemeinerten Markt ein einziger Allokationsmechanismus akzeptiert wird – ‚marktpreisbestimmt Handel treiben‘ –, stehen in Commons vier Allokationsmuster zur Verfügung. Welches angemessen ist, leitet sich unter anderem aus der Frage ab, ob etwas mehr wird, wenn es geteilt wird. Falls ja, wie es bei Wissen der Fall ist, wird dieses in Commons-Vereinigungen in der Regel großzügig weitergegeben: ‚Beitragen & Verbreiten‘ ist das Motto. Anders bei all dem, was schwindet, wenn es konsumiert wird (siehe Nutzungsrivalität). Hier gelten ‚Poolen, deckeln & aufteilen‘ (nicht reziprok) sowie ‚Poolen, deckeln & umlegen‘ (indirekt reziprok) als sinnvolle Allokationsformen. Mit Letzterem sind wir durch die Organisation unser Sozialversicherungssysteme vertraut. Ist geldvermittelter Handel nötig, so folgt dieser möglichst dem Grundmuster ‚Preissouverän Handel treiben‘.11 In ähnlicher Weise lassen sich laut Helfrich und Bollier (2019) alle wesentlichen Fragen der Governance, des Wirtschaftens und des Miteinanders aus Commons-Perspektive durchspielen.

5. Schluss

Solche Verallgemeinungsperspektiven, welche die inhaltlichen Aspekt und den Vollzug des Commoning enthalten, machen begreifbar, warum gemeinsames Handeln, gemeinstimmiges Entscheiden und gemeinverantwortliches Produzieren nur als permanenter Akt und stete Wiederaufführung unter sich beständig ändernden Bedingungen zur Geltung kommen kann. Es ist nicht nur von Bedeutung, wie, sondern ob Commoning überhaupt angestrebt, umgesetzt und immer wieder neu versucht wird. Andrea Nightingale (2019: 30) fügt aus Perspektive der feministisch-politischen Ökologie hinzu, dass diese „machtgeladenen Performances und Praktiken“ dazu dienen, „sozionatürliche Subjektivitäten und affektive Beziehungen (immer wieder) hervorzubringen“ (ebd.). Commons verändern somit nicht nur die Governance, das Wirtschaften und das Miteinander, sondern auch die Beteiligten selbst. Sie sind kein Ding, kein Modell und keine Blaupause, sondern Denkformen, die zur Aufführung kommen, sich unterschiedlichen Kontexten anpassen und durch Einhegungen ihren Charakter verlieren.

Wenn die Realisierung des Gemeinwohls ein lebendiges Miteinander voraussetzt, wenn die „Freiheit eigensinniger Subjekte“ mehr vermögen muss als praktisch hilflos den „Geist des Gemeinsinns heraufzubeschwören“ (Schulz-Nieswandt 2020: 21) und somit eines realitätsnäheren Freiheitsbegriffs bedarf (wofür sich in wohltuender Distanz zu Hammer und Sichel die Freiheit-in-Bezogenheit anbietet), dann wird deutlich, dass es um sehr viel mehr als geteilte Ressourcen, lokale Teilhabeformen oder identitär aufgeladene Souveränitätsbestrebungen geht. Es geht ums Ganze der Gesellschaftsgestaltung. Bei dieser kommt es auf mindestens drei Dinge an: die Haltung, das Design der Institutionen sowie die fortwährende Praxis.

Anmerkungen

1 Auch für das Verständnis verschiedener Formen des Kolonialismus bietet der Blick auf Einhegungen eine lohnenswerte Perspektive (vgl. bspw. Woodhouse 2003; Greer 2012).

2 Die Übersetzungen fremdsprachiger Zitate und Tabelleninhalte erfolgten durch die Verfasser*innen des vorliegenden Textes, was aus Gründen der Lesbarkeit nicht gesondert ausgezeichnet ist.

3 Zum Begriff der Beziehungsweise siehe Adamczak (2017).

4 Euler et al. (2020) sprechen in diesem Zusammenhang von einem practice turn.

5 In diesem Verständnis ist Commoning die „freiwillig und inklusiv selbstorganisierte Versorgung und Vermittlung durch Peers, die auf die Befriedigung von Bedürfnissen abzielen“ (Euler 2020: 63). Versorgung meint – im Gegensatz zur landläufigen Trennung – die Verbindung von Nutzung, Reproduktion und Produktion und als Peers werden die in Kooperationsverhältnissen eingebundenen Ebenbürtigen bezeichnet.

6 Tatsächlich kann am ehesten eine auf Gegenseitigkeit, selbstverantwortetem Tätigsein und gemeinverantwortlicher Nutzung basierende Lebensweise erklären, wie sich jetzt und künftig jene Abermillionen Menschen ein würdiges Leben schaffen können, die von Markt und Staat verlassen‘ sind, weil sie nicht kaufkräftig oder auf dem Arbeitsmarkt ‚überflüssig‘ sind, nicht als Staatsbürger*innen anerkannt oder von staatlichen Institutionen übersehen werden.

7 K = Kapital, M = Markt, C = Commons.

8 So lautet der Titel der im April 2021 stattfindenden globalen IASC-Konferenz „Commoning the Anthropocene“.

9 „Die fünf Schritte sind als logische Schritte zu verstehen, nicht als zeitliche Abfolge, obwohl einige Schritte tatsächlich auch real hintereinander geschehen (müssen)“ (Sutterlütti/Meretz 2018: 202).

10 Wir könnten ihn auch als ‚homo cooperans‘ oder ‚reciprocans nennen‘.

11 Konkrete Beispiele zur Umsetzung in Helfrich und Bollier (2019: Kapitel 6).

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