Mustersprache des Commoning

Commons Utopie

[Bild: Sarah Meretz, Lizenz CC-BY: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]

Johannes Euler ist freier Wirtschaftswissenschaftler, Commons-Aktivist, Berater für sozial-ökologischen Wandel und Mitglied im Commons-Institut. Sigrun Preissing ist Commons-Aktivistin, Bildungsschaffende und Wirtschaftsanthropologin. Dieser Text ist erschienen in: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl, Jg. 45, Heft 2, 2022, DOI:10.5771/2701-4193-2022-2-265.

Mustersprache des Commoning: Theorie, Methodik, Praxis

Von Johannes Euler und Sigrun Preissing

Zusammenfassung

Die Mustersprache des Commoning ist ein Meilenstein der Commons-Forschung. Zunächst wird grundlegend in die ontologischen und epistemologischen Grundlagen sowie die Methodologie eingeführt und deren gesellschaftspolitische Bedeutung hervorgehoben. Im Anschluss wird die Mustersprache des Commoning theoretisch und methodisch beschrieben und die Relevanz für die Praxis des Commoning herausgestellt. Es wird geschlussfolgert, dass es sich bei der Mustersprache um einen systematischen, empirisch und theoretisch fundierten Ansatz handelt, der nicht zuletzt in seiner Methodologie dem Commoning nahe kommt. Der Beitrag würdigt das wertvolle Werk Helfrichs und zielt auf eine Fortführung ab.

Stichworte: Commoning, Commons, Epistemologie, Methode, Methodologie, Mustersprache, Ontologie, Onto-Wandel, Prozessphilosophie

Abstract: Pattern Language for Commoning: Theory, Methodology, Practices

The pattern language of commoning is a milestone in commons research. First, the ontological and epistemological foundations as well as the methodology will be introduced and their socio-political significance be emphasized. Second, the pattern language of commoning will be described theoretically and methodologically, and its relevance to the practice of commoning will be highlighted. It will be concluded that the pattern language is a systematic, empirically and theoretically sound approach that comes close to commoning, not least in its methodology. The paper acknowledges Helfrich’s valuable work and aims at its continuation.

Keywords: Commoning, Commons, Epistemology, Method, Methodology, Ontology, OntoShift, Pattern Language, Process Philosophy

1. Einleitung

Für viele Jahre schien der Commons-Begriff wissenschaftlich und politisch tot zu sein. Mit einem Gedankenexperiment, das nicht nicht nur rein theoretischer Natur sondern auch hochgradig unterkomplex ist, attestierte Garret Hardin (1968) den Commons, grundsätzlich zum Scheitern verurteilt zu sein. Die einzigen gangbaren Möglichkeiten, Ressourcen nicht zu übernutzen, seien die Vergabe von Privateigentumsrechten oder die Verwaltung durch eine zentrale Autorität (ebd.). Markt oder Staat also, und wie diese Wahl zu treffen sei, ergibt sich mit Blick auf die politische Landschaft in den USA der 1970er und 80er Jahre quasi von selbst. Hardins Argumentation passte so gut in den Zeitgeist, dass die Tragik der Allmende zu einem der am meisten zitierten Artikel und in vielen – insbesondere der Theorie der rationalen Wahl nahestehenden – wissenschaftlichen (Teil-)Disziplinen sowie gesellschaftspolitischen Diskursen quasi zum unhinterfragbaren Allgemeinwissen avancierte.

Erst die Arbeiten von Elinor Ostrom (und ihrer Kolleg:innen) weckten den Begriff langsam aus diesem Dornröschenschlaf. Ostrom veröffentlichte im Jahr 1990 das Buch Governing the Commons – zu deutsch Verfassung der Allmende – in dem sie auf Grundlage jahrelanger empirischer Untersuchungen zeigte, dass es in aller Welt Gemeinschaften gibt, die ihre Ressourcen langfristig und erfolgreich verwalten (Ostrom 1999). Damit widerlegte sie Hardins Argumentation, und seinen Lösungsansätzen entgegnete sie: “Weder der Staat noch der Markt ist stets ein Garant für nachhaltige und produktive Nutzung der Naturressourcen” (ebd.: 1). Ostrom befasste sich intensiv mit den institutionellen Gemeinsamkeiten solcher langfristig erfolgreichen Gemeinschaften und formulierte acht diesem Erfolg zuträgliche Design-Prinzipien: 1. klar definierte Grenzen, 2. kontextangepasste Regelungen zum Verhältnis von Beitragen und Nehmen, 3. gemeinsame Entscheidungen, 4. selbstbestimmte Überwachung der Regeleinhaltung, 5. abgestufte Sanktionsmöglichkeiten, 6. niedrigschwellige Konfliktlösungsmechanismen, 7. Anerkennung durch die relevanten Autoritäten und 8. gegenstandsadäquat verschachtelte Governance unterschiedlicher Ebenen (vgl. ebd.: 117 f.).

Auf der Basis von Ostroms Studien entwickelte sich ein ganzes Forschungscluster, der Workshop in Political Theory and Policy Analysis an der Indiana University Bloomington, sowie die Wissenschaftsvereinigung International Association for the Study of the Commons. Insbesondere seit den 2010er Jahren entstand darauf aufbauend ein weiterer Diskursstrang, der die theoretischen Grundlagen dieser Forschung kritisiert und die Bedeutung der sozialen Praktiken des Commoning betont (Helfrich & Euler 2021: 47).1 Andreas Exner (2015) kritisiert beispielsweise, dass Ostroms Arbeiten auf dem methodologischen Individualismus und dem Paradigma der rationalen Wahl beruhen. Dies beinhaltet unter anderem die “Annahme wahlhandelnder, rational kalkulierender und individuellen Nutzen maximierender Subjekte” (ebd.: 123) sowie für sich stehende Ressourcen “anstelle kulturell mannigfach eingebetteter Elemente der Natur” (ebd.: 124).

Auch Bennholdt-Thomsen (2012: 108) problematisiert diese Verdinglichung2 und betont den Beziehungscharakter: “Wie die Teilchen in der Quantenphysik nicht nur einfach isolierte Materie sind, so sind die Gemeingüter weit mehr als der Stoff, aus dem sie bestehen, und weit mehr als der Geldwert, mit dem sie dingfest gemacht werden sollen. Sie sind Teil eines Beziehungsgefüges, gegenständliche Materie und bewegter Prozess in einem.” Um eben dieses Prozesshafte sowie die Geschaffen- und Gewordenheit zu betonen, rückt das Verb Commoning in den letzten zehn Jahren mehr und mehr in den Mittelpunkt der Debatten. Diese damit beschriebenen sozialen Praktiken lassen sich nicht mit Ostroms Design-Prinzipien ergründen (Helfrich & Bollier 2019: 93). Stattdessen müssen neue forscherische Wege beschritten werden, und hier kommt das Werk von Silke Helfrich ins Spiel. Im November 2021 ist die freie Wissenschaftlerin, Autorin, Aktivistin, Forscherin, Bloggerin, Rednerin und von uns hochgeschätzte Kollegin und Freundin tödlich verunglückt. Und so nehmen wir diesen Artikel zum Anlass, die zum Teil noch unveröffentlichten Grundlagen ihrer Arbeit vorzustellen und damit zu würdigen.

Silke Helfrich strebte an, Commoning in seiner Komplexität in den Blick zu nehmen: Commons “existieren, sie verändern sich – heute wie seit Tausenden von Jahren. Es gibt sie in Dörfern und Städten, im Süden und im Norden, in ursprünglichen, überschaubaren Communities sowie in hochmodernen, unüberschaubaren Cyber-Gemeinschaften. Existierende Commons umfassen manchmal einige Dutzend Menschen, manchmal einige Zehntausend” (ebd.: 19). Und so ist kein Commons identisch mit einem anderen und gleichzeitig haben alle Commons Gemeinsamkeiten. Silke Helfrich betonte stets, dass jedes Commons auf natürlichen Ressourcen, auf Wissen und auf sozialen Prozessen beruht, es also nicht hilfreich ist, zwischen diesen eine Trennung aufzumachen (ebd.: 29). In Anlehnung an Rahel Jaeggi fasst Silke Helfrich (2018: 86) Commons als Lebensform, als strukturierter “Zusammenhang von Praktiken des commoning”. Um diese Struktur und das “Verbindende zwischen unterschiedlichen Praktiken” (ebd.: 164) ging es ihr. Diese machen die Lebensform Commons spezifisch, erkennbar und unterscheidbar (ebd.: 86). Erst eine derartige inhaltliche Bestimmung ermöglicht zu erkennen, dass “nicht jedes kollektive Handeln, nicht jede Kooperation, nicht jeder gesellige Abend, nicht jede Genossenschaft oder jede gemeinwohlorientierte Aktion […] gleich ein Commons oder der Lebensform Commons zuzuordnen” (ebd.) ist.

Silke Helfrich war es also wichtig, “die vielen Akte des Commoning zu erkennen, sie zu benennen und allgemein lesbar zu machen” (Helfrich & Bollier 2019: 19). Ihr Anliegen zielte allerdings weit darüber hinaus. Ihr war es immer ein Anliegen transformativ wirksam zu sein: Es ging ihr sowohl “um die kleinen Schritte, die den Alltag verbessern” (ebd.: 12) als auch um eine Vision des zukünftigen gesellschaftlichen Miteinanders. Ihre Arbeit sollte Menschen Mut machen (ebd.) und zeigen, dass Commons kein utopisches Hirngespinst (ebd.: 19) sind. “Die Welt als Commons zu denken und zu gestalten bedeutet, unsere Kooperationsfähigkeit so zu nutzen, dass sich niemand über den Tisch gezogen fühlt, aber auch niemandem ein Platz am Tisch verweigert wird” (ebd.: 18) und so sei der Sinn des Commoning, ”kontextspezifische Systeme für ein freies, faires und nachhaltiges Leben zu schaffen” (ebd.: 93). Dieses Anliegen verfolgte Silke Helfrich in systematischer, empirisch und theoretisch fundierter Weise. Um dies nachzuzeichnen widmen wir uns zunächst den ontologischen Grundlagen (Abschnitt 2) sowie der Epistemologie und Methodologie (Abschnitt 3) ihres Ansatzes. Im Anschluss führen wir in die Methodologie der Mustersprache ein (Abschnitt 4) und erläutern, wie Silke Helfrich diese auf Commoning angewendet hat (Abschnitt 5). Darauf aufbauend stellen wir die verwendete Methodik vor (Abschnitt 6), zeigen die Bedeutung der Mustersprache für die Praxis des Commoning auf (Abschnitt 7) und runden des Artikel mit abschließenden Erläuterungen und Überlegungen ab (Abschnitt 8).

2. Ontologische Grundlagen und ihre Bedeutung für Gesellschaftsgestaltung

Wir starten mit einem Blick aus dem Fenster. Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und hinausschaue, sehe ich vor allem die Krone eines mächtigen Walnussbaums. Im Moment ist er kahl, die gekrümmten Äste und die vorbereiteten Blattknospen heben sich wie ein Scherenschnitt schwarz gegen den grauen Himmel ab. Die Vögel, die den Baum zum Verweilen nutzen, bleiben unversteckt und wir können uns gegenseitig beobachten. Hinter den Ästen sehe ich den Balkon des Nachbarhauses, dort erscheint ab und zu eine Frau und raucht. Sie hockt dabei immer auf dem Boden in einer Ecke, als müsste sie sich verstecken. Hinter dem Haus gerät ein Wald aus Kiefern und Buchen in meinen Blick. Ich kann sehen, wie die Wipfel sich im Wind biegen.

Wäre ich immer an diesen Schreibtischstuhl gebunden, es wäre mein Fenster zur Welt. Der Ausblick wäre die wichtigste Grundlage für mein Denken, Fühlen und Handeln in Bezug auf die Welt und das Sein darin. Es würde mir Aufschluss darüber geben, was Leben ist, was der Mensch ist. Das Verhalten der Frau in der Hocke würde mir Impulse dafür geben, was wohl die Basis menschlicher Beziehungen ist, der Kontakt mit den Vögeln und dem Walnussbaum würde mir etwas über die Grundlagen von Mensch-Mitwelt-Beziehungen mitteilen. Aber das Fenster würde meine Sicht auf die Welt nicht nur vorstrukturieren, es würde sie auch drastisch einschränken. Hier oben im vierten Stock kann ich nicht sehen, dass das Viertel, in dem ich wohne auf engstem Raum 2.000 Menschen beherbergt. Der Blick aus meinem Fenster erzählt mir nichts über das Mensch-Sein am Orinoco, die Mensch-Mitwelt-Beziehungen am Frankfurter Flughafen oder die zwischenmenschlichen Beziehungen in einem LGBTQ-Theater in Dallas.

Mit eben diesen Fenstern, durch die wir die Welt betrachten, befasst sich Ontologie. Sie nimmt das metaphorische Fenster an sich in den Blick, unsere ontologischen Grundannahmen, die bestimmen, welche Weltverständnisse und welche Seinsideen unserem Denken, Fühlen und Handeln zu Grunde liegen. Dieses Handeln bringt unübersehbar Ergebnisse hervor, die für Mitmenschen, Mitwelt und oftmals auch uns selbst toxisch sind. Und so richten wir beispielsweise Naturschutzgebiete ein, um auf einem vergleichsweise kleinen Flecken Erde unsere Mitwelt vor uns selbst zu schützen. Wir tun dies im vollen Bewusstsein darüber, dass unser alltägliches Handeln unsere Mitwelt zerstört, wenn wir uns nicht durch den Umweg eines Naturschutzgebietes selbst daran hindern. Welche Grundannahmen legen uns dieses Handeln nahe? Es hat große Relevanz, sie unter die Lupe zu nehmen und auf ihre Tauglichkeit für ein Zusammenleben mit und auf dem Planeten hin zu überprüfen, denn “what we believe about reality guides what we do, and sometimes we do not like the results” (Stout 2012: 391). Margaret Stout bringt mit ihrem 2012 erschienen Artikel Ordnung in die Analyse unterschiedlicher Ontologien. Dabei legt sie – aufbauend auf Parmenides und Heraklit, die verschiedene Konzepte der Natur, des Seins und des Wissens entwickelten – vier kategoriale Unterschiede abweichender Seinsverständnisse zu Grunde (ebd.: 389 f.).

Die erste Dimension thematisiert den Ursprung des Seins. Eine Ontologie, die darauf fußt, dass die Quelle des Seins jenseits dessen was existiert liegt (beispielsweise in einer Göttin oder einem König), wird zu anderen politischen Systemen neigen als Gesellschaften, denen eine immanente Weltsicht zu Grunde liegt und Menschen ohne göttliche Fürsorge und Führung denken. Die zweite Dimension bezieht sich auf den Ausdruck des Seins. Ist die ontologische Grundannahme eine individualistische, bedeutet dies, dass Menschen als abgetrennte Einheiten betrachtet werden, die erst über soziale Integration (zum Beispiel durch einen Staat und seine Institutionen) miteinander verbunden werden müssen. Im Gegensatz dazu gehen relationale Verständnisse davon aus, dass auch scheinbar getrennte Individuen immer verbunden und voneinander und der Erde abhängig sind (vgl. Preissing 2016: 275 ff.). Die dritte Dimension behandelt die Erscheinungsform des Seins. Sie wird je nach ontologischer Grundlage entweder als komplett, also undifferenziert oder als plural, das heißt differenziert angesehen. Undifferenziert bedeutet, dass alles Sein mehr oder weniger gleich, jede:r Teil des Ganzen und individuelle Identität unerheblich ist und somit tendenziell eingeebnet wird. Differenziert bedeutet hingegen, dass das Sein aus jeder:m heraus entsteht, divers ist und bleiben darf (vgl. Helfrich 2018: 16 f.). Die vierte Dimension betrifft den Zustand des Seins. Liegt einer Ontologie ein statisches Seins-Verständnis zugrunde, wird allem Lebendigen ein So-Sein unterstellt. Ein politischer Ausdruck dessen könnte beispielsweise das Fortbestehen skandinavischer Monarchien sein. Im Gegensatz dazu geht ein dynamisches Seins-Verständnis davon aus, dass alles Sein ein kontinuierliches Werden ist. Die Ontologie der Bantu (Sambia/Demokratische Republik Kongo) versteht beispielsweise Kraft, die im Laufe des Lebens dynamisch zu- oder abnehmen kann, als untrennlichen Teil des Seins (Tempels 1956: 23 ff.). Das Sein an sich wird als fließend betrachtet und wahrnehmbare Ereignisse nur als Schnappschüsse eines sich fortwährend ändernden Ausdrucks.

Ontologien liegen in der Realität nie in Reinform vor und sie durchdringen nie alle Lebensbereiche gleichzeitig. Im Gegenteil: sie konkurrieren miteinander. Und so hat sich ein hegemoniales Verhältnis unter den Konkurrent:innen herausgebildet. Die derzeit vorherrschende Ontologie, die wir als westlich-moderne Ontologie bezeichnen, hat sich während der Renaissance entwickelt und im 18. und 19. Jahrhundert verfestigt.3 Der moderne Kapitalismus baut auf dieser individualistischen Weltsicht auf. Diese legt uns nahe, dass Menschen vereinzelte Wesen sind, die durch eine Welt voller Dinge (einschließlich unserer Mitwesen) spazieren und in ihrer Individualität, inklusive ihres Eigentums, vom Staat geschützt werden müssen (Helfrich & Bollier 2019: 38 f.). Doch diese Ontologie verliert an Charisma und Überzeugungskraft. Wir erleben uns angesichts ökologischer und sozialer Krisen zutiefst abhängig voneinander und unserer Mitwelt. Der Klimaumbruch und Migrationsbewegungen sind nur zwei Beispiele, die sich aufdrängen. Anthropologisch betrachtet gibt es eine Vielzahl von Ontologien. Indem wir die weltbildenden Fähigkeiten menschlicher Kollektive bekräftigen, dekolonisieren wir fortwährend unser Denken und öffnen die Perspektive für Existenzformen, die in konkreten Praktiken andere Lösungswege wählen. Indem wir ihnen volles ontologisches Gewicht zugestehen, erkennen wir sie in ihrer Lebensfähigkeit als echte Alternativen an (Holbraad et al. 2014). Dies für alle marginalisierten, (sub-)kulturellen Praktiken gelten, wie eben auch für Commoning als Lebensform.

Commoning stellt Kapitalismus bereits auf der ontologischen Ebene grundsätzlich in Frage, denn es basiert nicht auf der darin eingeschriebenen Geschichte der Trennung, sondern auf der Grundidee einer tiefgreifenden Relationalität (Helfrich & Bollier 2019: 43). “Denn was sind wir anderes als die Summe unserer Beziehungen zu anderen Menschen?”, fragt David Graeber (2011: 406). Wir haben in der deutschen Sprache kein adäquates Wort für die Seinsweise eines Individuums, die sich vor allem durch die vielfältigen Beziehungen und Interaktionen bestimmt. In der Anthropologie finden sich viele Versuche diese sprachliche Lücke zu füllen, um relationale Personenvorstellungen, die überall auf der Welt gelebt werden, sichtbar zu machen.4 Als Wortschöpfungen finden sich die Begriffe relationale Person (vgl. Platenkamp 1996, LiPuma 2000, Carsten 2003), fraktale Person (vgl. Wagner 1991) oder Dividuum (vgl. Mariott 1976, Preissing 2016). Silke Helfrich und David Bollier (2019: 44) haben den Begriff Ich-in-Bezogenheit kreiert, um die angebliche Dualität von Ich und Wir zu überwinden und das Selbstverständnis von Commonern weltweit benennen zu können.

Eine dem Commoning angemessene Ontologie ist nicht nur eine relationale, sondern auch eine differenzierte (ebd.: 47). Eine commons-basierte Gesellschaft schätzt die vielfältigen Werte, Sehnsüchte, Bedürfnisse und ihre jeweiligen Ausdrucksformen. Jede:r muss Platz haben, sich zu entfalten. Jede lebendige Einheit kann in diesem Verständnis gleichzeitig einzigartig und mit allen anderen Einheiten verbunden sein. Doch damit ist es nicht getan. Um das Weltverständnis des Commoning ausreichend abzubilden, fehlt die prozessontologische Dimension. Hier ist die Perspektive von Alfred North Whitehead hilfreich. Er kritisierte substanzontologisches Denken, welches Ereignisse stets an eine Substanz bindet, mit der irgend etwas geschieht. Darauf bezieht sich auch seine Kritik an der Gabelung (Bifurkation) der Natur (Whitehead 1920: 26 ff.) in die primären, quantitativ messbaren Eigenschaften der Dinge und die nicht quantifizierbaren sekundären Eigenschaften, die im wahrnehmenden Subjekt auftauchen, wie Emotionen, Geruch, Empfindungen und vieles mehr (Muraca 2013: 238).

Dem Versuch, diesen ontologischen Bruch zwischen Subjekt und Objekt zu kitten, um andere Vorstellungen über die Welt zu erfassen und in die Sprache einer trennende Ontologie zu übersetzen, widmen sich viele wissenschaftliche Arbeiten (vgl. Bateson 1990, Hennion 2011, Latour 2002, Marriott 1976, Mauss 1997, Preissing 2016, Ramandujan 1990). Whitehead (1987) hebt die Gabelung auf, indem er jedem wirklichen Einzelwesen – was ein Proton, ein Stein, ein Baum, ein Mensch sein kann – sowohl eine Physis als auch ein beseeltes Werden, ein kreatives Moment, zuspricht. In dieser prozessontologischen Vorstellung ist ein Ereignis ein Ineinanderwirken von Einzelwesen, die sich aus Vorerfahrungen konstituieren und sich im Moment des Ereignisses gegenseitig mit ihren Relationen, Formen, Kontrasten, Informationen etc. erfahren. Ein Auseinanderlösen von Erfahrung und Erfahrendem, von Subjekt und Objekt erübrigt sich. Ein So-Sein oder Verharren gibt es nach Whitehead nicht. Materie ist für ihn nicht per se dinglich, sondern wird erst durch die kontinuierliche Abfolge von Ereignissen, die sich ähneln, als Dinghaft wahrgenommen. In diesem stets wirkenden, aktiven Prozess verbundener Einzelwesen – zur Erinnerung: die Natur mit all ihren Elementen ist hier ausdrücklich mitgedacht – liegt Freiheit, denn “zum Wesen eines ‘Seienden’ gehört, Potential für jedes ‘Werdende’ zu sein” (ebd.: 101).

Die relationale und differenzierte Perspektive der Prozessontologie ermöglicht einen Blick auf Commoning, der wahrnimmt, wenn Individuen und Natur – frei in ihrem jeweiligen Ausdruck – mit allen Einzelwesen in Relation stehen und sich gleichzeitig alle in Bewegung und im ständigen Verändern befinden. Es ermöglicht zu erfassen, dass diese Lebendigkeit fortlaufend Neues hervorbringt. Gleichzeitig gilt es die Phänomene, die aus den Beziehungen heraus und durch diese hindurch entstehen – sich verstetigende Commoningstrukturen – in den Blick zu bekommen. Es wird deutlich, warum wir diese mit der hegemonialen Ontologie einer westlich-kapitalistischen Gesellschaft Commons nicht adäquat wahrnehmen können. Garrett Hardin (1968) versperrte seine individualistische Weltsicht den Blick, als er über die Tragik der Allmende schrieb. Er konnte Commons nicht als lebbares Sozialsystem erkennen. Ohne relationale Ontologie sind Commons eine Ansammlung von (kleinen) Einzelprojekten, Dinge oder Ressourcen, um die sich Menschen herumorganisieren. Mit einer relational-ontologischen Perspektive erkennen wir eine Lebensform, die auf Intra-Aktionen5 zwischen Commonern und Mitwelt aufbaut und in der Beziehungen selbst eine treibende Kraft für Veränderung sind. Überholte Denkweisen in und durch uns zu verändern erfordert einen langen Atem. Silke Helfrich führte der Weg über Epistemologie und Methodologie zur Mustersprache des Commoning.

3. Epistemologie und Methodologie

Die Epistemologie oder Erkenntnistheorie fragt danach, wie wir Wissen erlangen und wie Erkenntnis zustande kommt. Die Frage, welche Quellen der Wissensproduktion in die Erkenntnis über die Welt einfließen (und welche nicht), zeigt die konzeptionelle Nähe zur Ontologie auf (Crotty 1998: 10). Um nicht nur Lebensformen zu erfassen, die einem individualistischen Menschenbild wie dem homo oeconomicus entsprechen, sondern auch solche, die mit einer relationalen, differenzierten Prozessontologie übereinstimmen, müssen Erkenntnisverfahren es ermöglichen, “den forschenden Blick auf die Beziehungshaftigkeit und Prozesshaftigkeit […] zu richten” (Helfrich 2018: 23). Epistemologien und Methodologien, die Soziales und Gesellschaftliches auf der Basis von individuellem Handeln ausloten, sind für diesen Zweck nicht geeignet (ebd.: 24).

Die Suche nach Erkenntnisverfahren, die von Beziehungen und Verbindungen als Grundvoraussetzung für soziale Wirklichkeit ausgehen, ruft Whiteheads Kritik an der Gabelung der Natur in Erinnerung. Wenn wir uns mit dem Erfassen von Wissen beschäftigen, können wir nicht das Erfasste von der erfassenden Person abtrennen und so tun, als wäre diese nicht Teil des Prozesses. Physiker:innen, wie Niels Bohr und Werner Heisenberg, haben Jahrzehnte nach Whitehead nachgewiesen, dass es eine Beobachtung losgelöst von der Beobachter:in nicht gibt (ebd.: 56). Wenn Beziehungen und Menschsein im Erkenntnisprozess mit abgebildet werden sollen, können auch Gefühle nicht außen vor bleiben. So hat Erkennen als “soziale[r] Prozess nicht nur gesellschaftliche und praktische, sondern auch eine affektive Grundlage” (ebd.: 24). Eine weit verbreitete Überzeugung innerhalb der Wissenschaft ist jedoch, “alles wertvolle Wissen sei rational und logisch”, (Salami 2021: 23) baue also ausschließlich auf kognitiven Fähigkeiten des Denkens und Quantifizierung auf.

Dies ist aus postkolonialer Perspektive nicht nur eine europatriarchale Herangehensweise an Wissensproduktion (ebd.: 12), sie widerspricht auch Alltagserfahrungen. Spiele ich mit Jugendlichen Basketball, bin ich immer wieder auf’s Neue fasziniert davon, mit welcher Präzision Rennen, Springen, Ankunft des Balles, Fangen und Werfen miteinander harmonieren. All diese unterschiedlichen Entscheidungen können nicht rational entschieden und daraufhin nacheinander initialisiert werden. Die Magie des Moments, in welchem einer der Körper in der Luft zu stehen scheint, während er den Ball empfängt oder abgibt, bevor er erneut der Schwerkraft unterliegt, entsteht im Prozess, durch das sinnliche Wissen des Körpers hindurch. Körperliche Empfindungen leiten mich auch, wenn ich auf der Suche nach Pilzen im Wald unterwegs bin. Ich kann meist nicht sagen, welcher Sinneseindruck mich an die eine oder andere Stelle im Wald zieht. Vielleicht ist es der Lichteinfall, das unbewusste Wahrnehmen der Baumsorten, das Spüren des Reliefs unter meinen Füßen oder die Geruchseindrücke in meinen Atemwegen. Mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, die über ein enormes angelerntes, kognitives Wissen über Pilze verfügen. Aber ehrlicherweise muss ich sagen, dass auch mein sinnliches, verkörpertes Wissen beim Finden von Pilzen einen nicht zu unterschätzenden Anteil hat. Es geht nicht darum, kognitivem Wissen die Anerkennung abzusprechen, sondern darum zu einem lebendigen Verständnis der Welt beizutragen. Laut Minna Salami benötigen wir dazu “eine Herangehensweise an das Wissen, die das Imaginative und das Rationale, das Quantifizierbare und das Unermessliche, das Intellektuelle und das Emotionale synthetisiert” (ebd.: 25). Sie schreibt: “Ohne Gefühl wird das Wissen schal, ohne Vernunft wird es roh” (ebd.). Die Gabelung der Natur zu überwinden bedeutet also zunächst einmal aufzuhören, die Natur durch die Auswahl der Epistemologie und Methodologie zu gabeln.

Whitehead entwickelt für den Moment der Aufhebung der Gabelung das Konzept Prehension. Das bewusste Erkennen bezeichnet er als Apprehension. Prehension hingegen ist für ihn ein Modus der Wahrnehmung, der etwas intuitiv, tendenziell unbewusst, in seiner Ganzheit erfasst (Helfrich 2018: 89). Des Weiteren unterscheidet er zwischen negativem und dem an dieser Stelle wichtigen positiven Erfassen. Dazu gehört das Fühlen und Empfinden. Dieses “nimmt im Betrachten des Einen das Viele, Zeit-Raum-Beziehungen, Gewordensein, Bedingtheiten, Kausalitäten zeitgleich hinein; und beschreibt einen Prozess, einen Moment vielmehr, in dem ich mir eines Ganzen quasi intuitiv gewahr werde, denn die Vergangenheit, die früheren Erfahrungen, die vorherigen Ereignisse gehen in das Erfasste notwendig ein” (ebd.: 90; H.i.O.).

Christopher Alexander entwickelte in seiner langjährigen Forschungstätigkeit eine Theorie lebendiger Systeme, die sich explizit auf Whiteheads Anspruch bezieht, Kommunizierbares und Unkommunizierbares in die wissenschaftliche Beobachtung einzubeziehen. Vor allem sein Konzept “mirror of the self” (Alexander 2002a: 349) ist an dieser Stelle hilfreich. Alexander entwickelte es mit dem Ziel, Strukturen der Lebendigkeit sichtbar zu machen und auf dieser Entscheidungsgrundlage menschliches Handeln zu ermöglichen, das die Welt verlebendigt (Helfrich 2018: 59). Gängige, cartesianische Methoden, die die Gabelung der Natur vollziehen, sieht er dafür als unzureichend an: “But what, if, objectively, the phenomenon we call life cannot be measured by any other method? […] In this history, using the mirror of the self to measure the presence of living structure, though highly unusual, would be merely one more step in the evolution of the observational methods needed to deal truthfully with reality as it is” (Alexander 2002a: 349).

Über Jahrzehnte führten Alexander und Kolleg:innen mit tausenden von Menschen aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten den Spiegel-des-Selbst-Test durch. Die Teilnehmenden wurden beispielsweise gebeten, zwischen jeweils zwei Alltagsgegenständen zu wählen. Der Versuch bestand aus mehreren Runden, in denen die zur Wahl stehenden Gegenstände variierten. So hat Alexander Teilnehmende gebeten, zwischen einem klassischen Salzstreuer und einer Ketchup-Flasche zu wählen (ebd.: 316 ff.).6 Die Wahl sollte nicht hinsichtlich Nützlichkeit, Geschmack oder Designvorlieben getroffen werden, sondern in Bezug auf intuitive Resonanz. Alexanders Frage zielte darauf ab, welcher der beiden Gegenstände ein besseres Bild des eigenen ewigen Selbst in seiner Ganzheit spiegeln würde. “A picture which shows you as you are, with all your hopes, fears, weaknesses, glory and absurdness, and – as far as possible – includes everything that you ever hope to be. […] Decide which of the two is the better picture of all that?” (ebd.: 317; H.i.O.). Im Falle dieser Gegenstände entschied sich die überwältigende Mehrheit für den Salzstreuer, obwohl, wie Alexander humorvoll einwand, Ketchup mit Burgern und modernem Leben assoziiert wird (ebd.). In Bezug auf die vielen Durchläufe der Jahrzehnte wurde deutlich, dass die Antworten der Teilnehmenden in der Regel mindestens im Verhältnis 80 zu 20 ausfielen. Dies galt für ihn als Beleg, dass sich “in lebendigen Strukturen etwas abbildet, das auch im Selbst liegt” (Helfrich 2018: 99), also in dem, was Alexander (2002a: 318) “die tiefe Ganzheit” nannte.7 Alexander setzte sich somit gegen ein mechanistisches Weltverständnis und für Schönheit und Lebendigkeit ein. Er entdeckte über die Jahre, dass die Frage “Welches ist das bessere Bild deiner selbst?” (ebd.; e.H.) in Bezug auf jeden Gegenstand gestellt werden konnte. Er testete außer Alltagsgegenständen auch Gebäude, Gärten, Gemälde, Fenster, Türme, Kleidung, Straßen, Wände und vieles mehr. Die Frage nach dem besseren Bild brachte seiner Schlussfolgerung nach den Grad der Lebendigkeit der Gegenstände in Relation zum Vorschein, ohne sie nominal messbar zu machen (ebd.).

Der Spiegel-des-Selbst war eine von Alexanders Methoden, die das epistemologische Anliegen verfolgten, nicht nur Wissen über statische Elemente zu generieren, sondern den Fokus auf die Verbindung zwischen ihnen zu legen, Erkennende:n und Erkanntes zu verbinden, um die Welt zu verlebendigen (Helfrich 2018: 59). Alexander nutzt die Tatsache, “dass die Strukturen des Lebendigen überall sind: im Beobachteten und im Beobachtenden. Darin liegt die Verbindung zwischen innen und außen” (ebd.: 98; H.i.O.). Seine Erkenntnisse leiteten auch sein Handeln als Architekt. Er war davon überzeugt, dass wir Menschen durch unsere Lebenswelt hindurch Lebendigkeit erfahren und dass es deshalb wichtig ist, diese in jedem Detail durch Gestaltung zu erhöhen (ebd.: 60).

4. Die Methodologie der Mustersprache nach Christopher Alexander

In den 1970er Jahren entwickelte Christopher Alexander zusammen mit Kolleg:innen die Methodologie der Mustersprachen, die zunächst innerhalb der Architektur zum Einsatz kam (Alexander et al. 1977). Später untermauerte Alexander (2002a, 2002b, 2004, 2005) sie in dem vierbändigen „The Nature of Order“ umfassend. Diese Muster vermögen es, „Beobachtetes und Analysiertes, Erfahrenes und Empfundenes, Errechnetes und Gefühltes miteinander verbunden zu vermitteln“, schreibt Silke Helfrich (2018: 39; H.i.O.) und vertritt die These, dass die Arbeiten Alexanders „der praktische Vollzug des Whiteheadschen Denkens“ (ebd.: 54, Fußnote 80) sind.

Alexander et al. (1977: x) beschreiben Muster als auf immer wieder auftretende Problemstellungen ausgerichtete Beschreibungen des Kerns tragfähiger und erprobter Lösungen. Dabei ist ein Muster „keine Blaupause; eher eine Vorlage, aus der viele ähnliche, aber nicht identische Variationen entstehen können“ (Helfrich & Bollier 2019: 48). Denn wie die Muster genau umgesetzt sind, in welcher Variation sie sich in der Realität finden lassen, hängt immer von den Umständen ab. „Jede Variante spiegelt eine bestimmte Zeit, einen Kontext, eine spezifische Gruppe von Beteiligten etc. wider“ (ebd.). So kann eine Lösung millionenfach verwendet werden, ohne jemals die exakt gleiche Gestalt zu haben (Alexander et al. 1977: x). Das Muster *Brücke* verweist beispielsweise auf die Millionen unterschiedlichen Brücken in der Welt, die gebaut sind um zu verbinden. Für die lebendige Gestaltung einzelner Innenräume formulieren Alexander et al. Muster wie *innenliegende Fenster* – “there are many cases when an indoor space needs a connecting window to another indoor space” (ebd.: 898) – oder *Leben überblickende Fenster* – “place [the windows] in positions which give the best possible views out over life: activities in streets, quiet gardens, anything different from the indoor scene” (ebd.: 892). Muster für andere Bereiche heißen zum Beispiel *kleine öffentliche Plätze*, *halbversteckte Gärten* oder *Teppich aus Licht und Dunkelheit*.

Muster beziehen sich auf Probleme in vergleichbaren Zusammenhängen, also beispielsweise in der Architektur, der Software-Programmierung oder dem Projektmanagement. Denn die Probleme sind für eben diese vergleichbaren Zusammenhänge typisch und existieren möglicherweise außerhalb dieser gar nicht.8 Wenn es um soziale Beziehungen geht, gibt es andere Herausforderungen als bei der baulichen Gestaltung. In einem Eishockeyspiel ist ein typisches Problem beispielsweise, wie ich auf Eis laufend und mit einem Schläger in der Hand den Puck am besten ins Tor bugsiere. Und das ist nicht nur bei einem einzelnen Eishockeyspiel der Fall, sondern es tritt immer wieder auf. Außerhalb des Eishockey-Zusammenhangs ist das Problem jedoch typischerweise nicht anzutreffen. Und so gelten Muster innerhalb vergleichbarer Zusammenhänge (Eishockeyspiel) für unterschiedliche konkrete Kontexte, die sich jedes Mal auf’s Neue unter anderem daraufhin unterscheiden, nach welchen Regeln gespielt wird, wie das Eis beschaffen ist und wer mitspielt. Und so wird zwar das Muster gleich sein (fiktiv etwa *Körpertäuschungen geschickt einsetzen*), aber die konkrete Umsetzung nicht. Auch in komplexeren sozialen Zusammenhängen, wie beispielsweise in Solidarischen Landwirtschaften, haben die Beteiligten vielleicht sowohl in der Schweiz als auch in Peru ähnliche Problemstellungen. Die konkreten Lösungen werden jedoch von den unterschiedlichen rechtlichen, ökonomischen, klimatischen und kulturellen Rahmenbedingungen geprägt sein. Und so sind Muster die kontextübergreifend gültigen Lösungskerne für in vergleichbaren Zusammenhängen typischerweise auftretende Probleme.

Dabei ist ein Muster „keine Definition des Richtigen und Korrekten“, sondern es bezieht sich auf das, „was Menschen tatsächlich tun, was ihnen gelingt“ (Helfrich & Bollier 2019: 92). Ein Muster ist also kein Prinzip. Denn Prinzipien beziehen sich, Helfrich und Bollier zufolge, auf ein „ethisches oder philosophisches Ideal, das alle befolgen sollen“ (ebd.: 91). Das Prinzip „Du sollst nicht töten“ benennt eher eine selbstverständliche, „universelle Gewissheit“ und eine „für sich stehende Wahrheit“ als eine Problemlösung (ebd.: 92). Muster hingegen beschreiben eher (positiv wahrgenommene) Gestaltungsmöglichkeiten und -freiheiten, als dass sie eine der Möglichkeiten als Norm vorschreiben.9 „Eine formale Musterbeschreibung geht davon aus, dass die positiven und negativen Kräfte identifiziert werden, die in einer Problemsituation wirken, und setzt nicht voraus, dass sie sich durch die Berufung auf Prinzipien lösen lassen“ (ebd.).10 Ein Beispiel für ein solches Muster antwortet auf das Problem, wie unterschiedliche Absichten und Werte in Commons-Vereinigungen11 zusammengebracht werden können und trägt den Namen *Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten* (ebd.: 120). Die genaue Musterbeschreibung findet sich in Abbildung 1.

Abbildung 1: Musterkarte *Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten* (Helfrich & Petzold 2021).

Darüber hinaus werden Muster „nicht erfunden sondern gefunden“, wie es Bauer und Baumgartner (2012: 34) so schön ausdrücken. Das deutet auf den empirischen Gehalt der Muster hin, die nicht ohne Bezug zur vorfindlichen Welt aus einer normativen Theorie abgeleitet werden. Stattdessen werden sie geschöpft (engl. pattern mining), also aus dem schier endlosen Sand der Realität gesiebt. Dieses Schöpfen ist ein iterativer Prozess, bei dem erkennendes Subjekt und Erkanntes sich gegenseitig durchdringen (Helfrich 2018: 101). Es geht mit Alexander (2002a) immer um die Lebendigkeit und Ganzheit, die in unterschiedlichen Graden allem innewohnen. Daher sind Muster in Alexanders Sinne auch nicht beliebig, sondern mit Blick in Richtung “des Ganzen (wholeness), der Stabilität und Lebendigkeit von Beziehungen, der Robustheit und Gesundheit von Systemen, die wir fühlen können” (Helfrich 2018: 47), zu schöpfen. Daraus ergibt sich auch ihre Attraktivität (ebd.) und, je nach Weltsicht lässt sich daraus sogar eine gewisse Zwangsläufigkeit ableiten.12 Dabei ist wichtig zu beachten, dass Muster keine Vorschreibungen sind, sie repräsentieren, in Helmut Leitners Worten, allenfalls eine “Wahrheit ohne Herrschaftsanspruch” (zitiert in Helfrich 2018: 47). Es ist vielmehr so zu verstehen: “wenn wir das vermeintlich Äußere, die Materie (matter) verlebendigen, verlebendigen wir uns selbst“ (Helfrich 2018: 60), was insbesondere übertragen auf soziale Prozesse und zwischenmenschliche Beziehungen unmittelbar einleuchtend erscheint.

Muster sind für sich genommen zwar durchaus hilfreich, ihre wirkliche Aussagekraft entfalten sie jedoch erst durch “die Verknüpftheit und aktive Verknüpfung von Mustern zu Mustersprachen” (ebd.: 101). So werden “Ordnungen freigelegt, die sich in der Welt (in der sozialen Praxis) bereits finden, aber den Handelnden nicht bewusst sind“ (ebd.). Helmut Leitner (2015: 27) verdeutlicht dies mit Blick auf Worte und Sprachen: “So wie die im Lexikon verzeichneten Worte erst im Gefüge ihrer ‘regelhaften’ Beziehungen ihre Ausdruckskraft gewinnen und zur Sprache werden, so werden einzelne Muster erst im Gefüge der anderen Muster und ihrer funktionellen Beziehungen zu einem ausdrucksfähigen Mittel der Gestaltung, zu einer Mustersprache”. Mustersprachen entstehen in ihrer Komplexität, indem jedes einzelne Muster auf verwandte Muster verweist und somit immer über sogenannte Anschlussmuster verfügt.13 Auch sind Muster teilweise in anderen enthalten, so wie der Baum im Wald enthalten ist. In diesem Fall gilt der Baum als spezifisch dem Wald gegenüber und der Wald dem Baum gegenüber als generisch. Mustersprachen sind also immer relational, entstehen sie doch aus den Mustern samt ihrer Verknüpfungsstruktur. Sie sollten möglichst kohärent sein und gleichzeitig sind sie “prinzipiell offen und damit stets unvollständig” (Helfrich 2018: 47). Da sie sich immer auf kontextbezogene Probleme beziehen, die sich mit den Involvierten und den Kontexten ständig ändern, “können sie nicht nur ständig weiterentwickelt werden, sie müssen ständig weiterentwickelt werden“ (ebd.: 50; H.i.O.).

5. Mustersprache des Commoning

Eine solche Mustersprache haben Silke Helfrich und David Bollier (2019) angefangen zu formulieren. In ihrem Buch “Frei, fair und lebendig: Die Macht der Commons” stellen sie die von ihnen geschöpften Muster vor. Helfrich und Bollier schreiben dazu: „In diesem Buch arbeiten wir Muster heraus, die überall in der Welt in Commons wirken. Wir gehen dabei sowohl sachlich als auch ambitioniert vor. Sachlich in der Beschreibung dessen, wie unterschiedliche Commons gegenwärtig funktionieren, und ambitioniert beim Versuch, uns vorzustellen, wie Commoning-Dynamiken plausibel wachsen, sich verbünden und zu einem eigenständigen Bereich der Kultur und der politischen Ökonomie werden können“ (ebd.: 31). Die ihrer Arbeit zugrundeliegende Ethik machen Helfrich und Bollier schon im Titel deutlich. So sollte Freiheit “im weitesten Sinne – nicht nur die libertäre wirtschaftliche Freiheit des Vereinzelten” (ebd.: 13) respektiert werden. Es geht ebenso darum, Fairness ins Zentrums jeglicher Produktion und Koordination zu stellen (ebd.). Und es gilt, “unsere Existenz als Lebewesen auf einer Erde [zu] erkennen, die selbst lebendig ist” (ebd.). Helfrich (2018: 7) geht es darum, so häufig widerstreitende Traditionen zu verbinden: die liberale mit der Idee der Freiheit, die sozialistische mit ihrer Idee der Gerechtigkeit und die ökologische mit den Ideen von Nachhaltigkeit und intergenerationeller Gerechtigkeit (vgl. Helfrich & Bollier 2019: 13).14

Helfrich und Bollier (2019: 90) gehen davon aus, “dass beim Commoning das Knüpfen und Pflegen von Beziehungen im Mittelpunkt steht – zwischen Menschen in kleinen und großen Gemeinschaften, aber auch in Netzwerken, zwischen uns und der nichtmenschlichen Welt”. Die geschöpften Muster des Commoning haben sie grob in drei Bereiche gegliedert: “Soziales Miteinander”, “Selbstorganisation durch Gleichrangige” und “sorgendes & selbstbestimmtes Wirtschaften” (ebd.: 94). Die Einteilung dieser “Triade des Commoning” (Helfrich 2018: 136) umfasst die “Dimension des Sozialen Miteinanders, die koordinierend-institutionelle Dimension der Peer-Governance und die schöpferisch re-produzierende Dimension” (ebd.: 164). Sie ist also angelehnt an die Unterscheidung zwischen den Sphären “des Sozialen, Institutionellen und des Ökonomischen” (Helfrich & Bollier 2019: 93) und jeder dieser drei Bereiche gibt “eine andere Perspektive wieder, aus der heraus dasselbe Phänomen betrachtet wird” (ebd.). Insgesamt umfasste die Mustersprache des Commoning bei Helfrich und Bollier 28 Muster, die jüngste publizierte Fassung, die Silke Helfrich und Julia Petzold (2021) in Form eines Kartensets herausgegeben haben, zählt deren 33.15 Zusätzlich wurden im Kartenset für jedes Muster die jeweiligen Anschlussmuster, die in Frei, fair und lebendig lediglich sporadisch angedeutet wurden, angegeben.16 Erst diese ermöglichen es, die Struktur einer Mustersprache zu erkennen und es wird verständlich, dass die unterschiedlichen “Akte des Commoning” (Helfrich 2018: 164) nicht nebeneinander stehen wie “ein loser Haufen unverbundener Praktiken” (Jaeggi 2014: 104).

Abbildung 2: Musterkarte *Konflikte beziehungswahrend bearbeiten* (Helfrich & Petzold 2021).

Ein Beispiel für ein solches Commoning-Muster ist in Abbildung 1 zu sehen, zwei weitere finden sich in den Abbildungen 2 und 3. Am Muster *Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten* wird der Bezug zur differenzierten Ontologie besonders deutlich. Vielfalt wird als Grundvoraussetzung angenommen und eingeladen. Das gemeinsame Ausrichten spiegelt, wie prozessorientiert und im ständigen Werden Commoning ist. Ähnliches zeigt sich im Muster *Konflikte beziehungswahrend bearbeiten*, wo die grundsätzliche Beziehungshaftigkeit – das Ich-in-Bezogenheit – im Zentrum steht, ohne jedoch die Möglichkeit von Trennungen auszuschließen. Das Muster *Werktätigkeit & (Für-)Sorge gleichwürdig anerkennen* basiert ebenfalls auf dieser grundsätzlichen Bezogenheit und weist auf die Bedeutung der Sorgearbeit, also der beziehungsbasierten Arbeit hin. Diese Beispiele legen den Schluss nahe, dass die relationale, differenzierte Prozessontologie diejenige ist, die “die Realitäten von Commoning am besten beschreibt” (Helfrich & Bollier 2019: 47).

Abbildung 3: Musterkarte *Werktätigkeit & (Für-)Sorge gleichwürdig anerkennen* (Helfrich & Petzold 2021).

Da es “trotz zahlloser Unterschiede große strukturelle Ähnlichkeiten zwischen allen Commons gibt – egal ob sie modern oder traditionell sind, sich um Naturreichtümer drehen, in digitalen Umgebungen entfalten oder sozialen Zusammenhalt selbst zum Kern haben” bezeichnen Helfrich und Bollier (2019: 91) alle Commons als “wesensverwandt“. Die Muster des Commoning bezeichnet Helfrich (2018: 80) als “invariantes Gemeinsames”, das sich in den vielfältigen Möglichkeiten wiederfindet, die für Commons-Kontexte typischen Probleme zu lösen. Dies bedeutet nicht, dass in jeder Commons-Vereinigung zu jeder Zeit alle Muster zu finden sind. Stattdessen ist die Anwendung der Muster stark vom jeweiligen Kontext, von zeitlichen und räumlichen Begebenheiten und den involvierten Menschen geprägt, in dem Commons entstehen (Helfrich & Bollier 2019: 91). Mit dem Muster-Ansatz gelingt es jedoch, die Wesensverwandtheit aufzuzeigen und gleichzeitig die Unterschiedlichkeit im Konkreten abzubilden, was ihn zu einer dem Gegenstand (Commoning) angemessenen Methodologie macht.

6. Die forschende Praxis des Musterschöpfens

Die Mustersprache des Commoning geht also, wie es für Mustersprachen üblich ist, “von der Beobachtung verschiedener gelingender Praktiken in unterschiedlichen kulturellen und räumlich-zeitlichen Kontexten aus” (Helfrich & Euler 2021: 52). Dieser liegt, ganz im Alexanderschen Sinne, eine “systematische, co-kreative und bedürfnisbasierte Gewinnung von Erkenntnissen” (Helfrich & Euler 2017: 158) zugrunde. Diese Erkenntnisse basieren insbesondere auf Erfahrungen des Gelingens und nicht so sehr auf denen des Scheiterns. Dabei werden die Muster nicht nur auf wiederkehrende Probleme aus der Praxis zugeschnitten, sondern auch in enger Zusammenarbeit mit Menschen aus der Praxis geschöpft und “die den Beteiligten jeweils eigenen erkenntnistheoretischen Möglichkeiten miteinander verschränkt” (ebd.: 157).17 Die Forschende, die mitunter mehr moderierend als leitend im Prozess involviert ist, bewegt sich darin “wie eine Detektivin, um den Moment des Zusammenfallens von Theorie (den eigenen Annahmen über die Beziehungen zwischen Kontext, Problem und Lösung) und Praxis (den Daten und Erfahrungen der Beteiligten) festzuhalten” (Helfrich 2018: 101).

Die ersten 28 Muster aus Fair, frei und lebendig basieren auf neun Musterworkshops und zwölf teilstrukturierten Interviews (Helfrich & Bollier 2019: 320). An den Workshops nahmen “zumeist gemeinschaftserfahrene Menschen zwischen 20 und 70 Jahren aus unterschiedlichen Kontexten und Kulturen” (ebd.) teil und es wurden entlang der folgenden fünf Fragen vorgegangen:

  • Was ist der Kontext?
  • Was genau ist in diesem Kontext der Kern eines immer wiederkehrenden Problems?
  • Welche Lösungen gibt es für dieses Problem?
  • Worin liegt der gemeinsame Kern gelingender Lösungen?
  • Wie lässt sich dieser gemeinsame Kern als Mustername formulieren?

Sowohl die Workshops als auch die Interviews18 zielten darauf ab “herauszufinden, inwiefern sich unterschiedliche Praktiken, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, überlagern und ob gemeinsame Handlungsmuster in gelingenden Lösungen erkennbar werden” (ebd.). Dabei wurde nicht so sehr danach gefragt, was in dem jeweiligen Kontext gewollt oder gedacht wird, sondern danach “was wie getan wird” (ebd.).

Ist, nach der Problembeschreibung und der ersten empirischen Phase (Workshop und/oder Interview), ein Entwurf für ein Muster inklusive Mustername gefunden, beginnt die Überprüfungsphase. Zunächst wird das Muster verschriftlicht und im Anschluss in vielen Iterationen verifiziert. Das Muster wird im Gespräch überprüft, weiterentwickelt und dem Spiegel-des-Selbst-Test unterzogen (ebd.: 327). Daraus entsteht eine neue Fassung des Musters, das erneut die Überprüfungsphase durchläuft. Dieser Vorgang wiederholt sich, bis keine weiteren Anpassungen nötig erscheinen und sich ein Gefühl der Stimmigkeit einstellt. Eine schematische Darstellung dieses Vorgehens findet sich in Abbildung 419 und eine ausführlichere Beschreibung eines solchen Durchlaufs am Beispiel des Musters *Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten* bei Helfrich und Bollier (2019: 322 f.).

Abbildung 4: Entscheidungsverläufe im Forschungsprozess (Helfrich & Bollier 2019: 327).

In dem Moment der Stimmigkeit geht es letztlich darum, dass die “Beteiligten spüren, wenn es passt, wenn Muster und Mustersprachen schrittweise Form annehmen und die Arbeit daran als fruchtbar empfunden wird; wenn die Ergebnisse des gemeinsamen Forschens ihnen helfen” (Helfrich & Euler 2017: 157). Helfrich und Bollier (2019: 320) formulieren es so: “Resonanz erfahren wir, wenn sich nach mühevollem Suchen und geduldigem Abtasten vieler Optionen eine besondere Energie, ein ‘gemeinsames Kopfnicken’ einstellt: Es ist eine Kongruenz zwischen Erfahren, Erspüren und Erkennen.” In dem Forschungsprozess findet also eine Verschränkung der verschiedenen Erkenntniswege statt, und so lenkt der gemeinsame Suchprozess “Wahrnehmungen und kanalisiert Erkenntnisprozesse ohne sie von Wissen, Erfahrung und Gefühl zu trennen” (Helfrich & Euler 2017: 157).

Für jedes der Muster gab es “mindestens sechs systematische Durchgänge mit Personen unterschiedlicher Qualifikation – vom Nachhaltigkeitswissenschaftler bis zur Studentin, die mit Mustern arbeitet, von der Pädagogin, die selbst Motor einer Commons-Community ist, bis zu den Teilnehmenden an der 6. deutschsprachigen Commons-Sommerschule” (Helfrich & Bollier 2019: 322). Aus eben diesem vielfachen Durchlaufen der Überprüfungsphase sowie aus der Kombination unterschiedlicher Methoden ergibt sich, Helfrich und Bollier zufolge, die Belastbarkeit der Ergebnisse (ebd.). Zusammenfassend lässt sich das Musterschöpfen als “gemeinsame, deliberative und erfahrungsbezogene Suche und Bestimmung von Mustern” (Helfrich & Euler 2017: 157) beschreiben, das nicht nur angemessen für den Gegenstand Commoning ist, sondern auch in seinem methodischen Vorgehen dem Commoning sehr nah kommt (ebd.: 159).

7. Die Bedeutung der Mustersprache für die Praxis des Commoning

Die Mustersprache des Commoning ist – im Vergleich zu anderen – noch eine junge Mustersprache. Gleichwohl hat sie mit dem Buch von Silke Helfrich und David Bollier (2019) und dem Kartenset von Silke Helfrich und Julia Petzold (2021) bereits Eingang in die Praxis gefunden. Sie macht Commoning als soziale Praxis sichtbar, stellt diese in einen größeren Zusammenhang und ermöglicht es so, diese Praxis mit Bedeutung zu versehen. “Diese Aufladung vollzieht sich über eines der wichtigsten Vergesellschaftungsmittel: die Sprache” (Helfrich 2018: 166). Über einschlägige Publikationen – wie beispielsweise im deutschsprachigen Raum die Zeitschrift Oya – findet die Mustersprache Verbreitung innerhalb einer wachsenden Commoning-Bewegung. Beteiligte finden dadurch die Möglichkeit, sich über das, “was sie ohnehin schon tun” (Helfrich & Bollier 2019: 328) besser zu verständigen und ihre Praktiken entsprechend zu reflektieren und zu dokumentieren.

Im Netzwerk Region im Wandel um Waldkappel in Hessen nutzen Menschen um die frühere Gemeinschaft Fuchsmühle die Mustersprache des Commoning, um sich über ihre gemeinsame Alltagspraxis auszutauschen. Die Keimzelle von zwölf Personen hat sich bewusst aufgelöst und gezielt erweitert, so dass nun sieben bis acht Wohngemeinschaften rund um den Ort verteilt sind. Dies geschah unter anderem, um besser zu einer lebendigen Region beitragen zu können. In unterschiedlichen Konstellationen hüten Menschen aus diesen Wohnzusammenhängen gemeinsam mit weiteren Menschen aus der Region unter anderem eine FoodCoop, eine solidarische Landwirtschaft sowie die Fuchsmühle und ein altes Schulgebäude als Gemeinschaftsgebäude. Nun soll ein Mustersprachen-Workshop für alle Aktiven im Netzwerk stattfinden. Ziel ist es, in den einzelnen Projekten für die Visionen eines sozial-ökologischen Wandels und die bereits stattfindenden kooperativen Praktiken eine gemeinsame Sprache zu finden. Für Luisa Kleine, Mitgründerin der Ursprungsgemeinschaft, eignet sich die Mustersprache besonders für ihre Praxis, weil “sie von Erfahrungen ausgeht und keine Ideologie ist, der losgelöst vom eigenen Erleben nachgejagt wird”.20 Die Beteiligten geben ihrem Tun mit Hilfe der Mustersprache einen passenden Bedeutungsrahmen, – eine theoretische Grundlage als Bezugspunkt, wie “Sternbilder, auf die wir dann gemeinsam deuten können” (Kleine). Da die Mustersprache des Commoning, wie jede Mustersprache, nie abgeschlossen ist, kann davon ausgegangen werden, dass das Netzwerk um Waldkappel zukünftig spezifische Muster, die auf ihren gemeinsamen Kontext zugeschnitten sind, entwickeln wird.

Die Mustersprache des Commoning kann Praktiker:innen bei auftretenden Problemen unterstützen. Sie kann helfen die Selbstreflexion zu strukturieren, Schwächen und Stärken zu erkennen oder sich von den Lösungsbeispielen auf den Musterkarten inspirieren zu lassen und eigene jeweils angepasste Lösungen zu finden (Helfrich & Bollier 2019: 328). Silke Helfrich (2018: 119) nannte dies: “sich in Lösungen baden”. Als Beispiel kann hier der Prozess in einem süddeutschen Wohnprojekt genannt werden. In der Gruppe herrschte die Erzählung vor, dass die dortige Entscheidungsfindung seit Gründung des Projekts auf dem Konsensprinzip beruhe. Wer gegen einen bestimmten Vorschlag ist, könnte in diesem Sinne stets ein verhinderndes Veto einlegen. Tatsächlich wurden Entscheidungen jedoch in ganz unterschiedlicher Form getroffen. Ob nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt oder ein Konsens gesucht wurde, hing von der moderierenden Person des jeweiligen Plenums ab. Innerhalb dieses unklaren Rahmens hatten sich über die Jahre informellen Hierarchien etabliert, über die es viel Unmut gab. Mit Hilfe des Musters *gemeinstimmig Entscheiden* konnte in der Gruppe die interne Entscheidungsfindung reflektiert werden. Es stellte sich heraus, dass nicht der wechselnde Entscheidungsmodus zur informellen Hierarchie führte – fehlende feste Regeln also – wie viele anfangs angenommen hatten. Vielmehr stellte sich als Problem heraus, dass in der Gruppe nicht transparent über den jeweils angemessenen Entscheidungsmodus gesprochen und dieser gemeinsam beschlossen wurde. Im folgenden übte die Gruppe – durchaus mit Spaß – unterschiedliche gemeinstimmige Entscheidungsverfahren ein, um diese dann zukünftig im Bedarfsfall moderieren und durchführen zu können. In diesem gemeinsamen Lernprozess wurden sowohl die individuellen und gemeinsamen Kompetenzen erhöht, als auch die Lebendigkeit der Gruppe neu erfahren.21

Ein weiteres Beispiel, das aufzeigt, wie die Muster des Commoning hilfreich eingesetzt werden können, betrifft eine Kunst-Organisation in Berlin. Ziel dieser Organisation ist es, Künstler:innen und Bürger:innen in einen Austausch und Kontakt zu bringen und das Inauftraggeben von Kunst zu demokratisieren, indem es in die Hände der Bürger:innen gelegt wird. Als die institutionelle Förderung zurückging, wollte sich die Organisation für die Zukunft neu aufstellen. Sie erbat sich eine Commons-Beratung von Silke Helfrich, Vera Hofmann und Johannes Euler. Diese versuchten in dem mehrmonatigen Prozess zu vermitteln, wie eine Welt aus Perspektive von Commonern aussieht und welche Gestaltungsmöglichkeiten sich daraus ergeben. Anstatt von Organisationsstrukturen auszugehen, setzten sie bei den Menschen und ihrem Handeln und Denken innerhalb der Organisation an und reflektierten diese mit Hilfe der Mustersprache gemeinsam. Inspiriert davon begann sich die Organisation einem kulturellen und institutionellen Wandel zu unterziehen. Dabei werden unter anderem Hierarchien abgebaut und Abläufe demokratisiert.

Helfrich und Bollier (2019: 328) fassen zusammen: “die Verknüpfung von Mustern und Commons [ist] deshalb so fruchtbar, weil das Mustern nicht nur erlaubt, in der Vielfalt der Commoning-Prozesse eine Ordnung zu erkennen und damit Commoning inhaltlich zu bestimmen, sondern Muster unterstützen die Commoners dabei, diese Ordnung herzustellen.” Die Mustersprache des Commoning kann Commons-Vereinigungen also unterstützen, indem sie

  • erstens hilft eine Sprache zu finden für das, was dort sowieso Praxis ist,
  • zweitens Selbstreflexion in Gruppen systematisiert und Schwächen und Stärken sichtbar macht,
  • drittens eine Vielzahl an erprobten Problemlösungen bereithält und so Inspiration für eigene angepasste Verbesserungsvorschläge gibt, und
  • viertens einlädt spezifische Muster für den jeweils eigenen Kontext zu entwickeln, die dann vor Ort Problembearbeitung erleichtern (ebd.: 329).

Silke Helfrich (2018: 166) sah die Mustersprache gegenüber Theorien klar im Vorteil: “Muster und Wirklichkeit laufen aus meiner Sicht weniger Gefahr auseinanderzufallen als theoretisch-konzeptionelle Entwürfe der gesellschaftlichen Transformation, weil die Elemente des Gelingens aus dem Gelingen selbst gefiltert sind.”

8. Ausblick

Wir sind in diesem Artikel den Weg von den ontologischen Grundlagen und den Erkenntnisverfahren über die Methode der Mustersprache des Commoning und ihrem Schöpfen bis hin zur Bedeutung für die Commons-Praxis gegangen. Wozu diesen Weg, den wir auf den letzten Seiten mal mit Leichtigkeit, mal ringend zurückgelegt haben?

“Es geht ums Ganze der Gesellschaftsgestaltung“, wie Helfrich und Euler (2021: 54) zusammenfassen. Die Auseinandersetzung mit der Mustersprache des Commoning eröffnet uns die Möglichkeit unsere Welt freier, fairer und lebendiger zu gestalten. Eine relationale, differenzierte Prozessontologie hilft uns dabei, einen neuen Ausblick auf unsere Welt zu erhaschen. Denn unsere ontologischen Grundannahmen beschreiben was ist und zum Teil auch was sein sollte. Sie bestimmen letztlich, welche soziale und politische Ordnung wir denken, welche Transformation und Utopie wir uns überhaupt vorstellen können (Helfrich 2018: 10). Silke Helfrich war sich bewusst, welche Macht Ontologien haben, und überzeugt davon, dass es für eine gesellschaftliche Transformation kaum ein strategischeres Vorgehen gibt, als sich auf die Veränderung der Ontologie – der Weltsicht an sich – auszurichten. So setzte sie sich mit ihrem Schreiben, Sprechen, Begeistern, ihrem Sein für einen “Onto-Wandel” (Helfrich & Bollier 2019: 49) ein. Sie wusste, wie schwierig es ist, das Fenster wirklich in den Blick zu bekommen, statt nur hindurchzuschauen. Onto-Politik zu betreiben, also nicht (nur) über Politik zu sprechen, um Politik zu verändern, sondern die verborgene Ebene unserer Welt- und Menschenverständnisse zu adressieren, schien ihr einer der geradlinigsten Wege (ebd.: 36).

Um Commoning als längst praktizierte Lebensweise sichtbar zu machen, sind Erkenntnisverfahren in Kohärenz mit dieser Ontologie zu bringen. Dies ist elementar und kein Akt der Höflichkeit. Handlungen, die auf der dominanten, dem Kapitalismus und den aktuellen Herrschaftsverhältnissen dienlichen Weltsicht aufbauen, haben uns in die Situation gebracht, in der wir uns aktuell befinden. Es wird Zeit, den Blick auf all jene Perspektiven zu richten, die anderen Denk- und Handlungsmustern folgen. Wir können es uns als Weltgemeinschaft schlicht nicht länger leisten, marginalisierte Perspektiven nicht in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit zu stellen. Der Diskurs um Commoning als Lebensform “lässt uns die Welt in einem anderen Licht sehen. Er zeigt einen Weg in eine stabile, postkapitalistische Ordnung. Er macht plausibel, wie wir zu einer humaneren und enkeltauglichen Gesellschaft beitragen können” (ebd.: 19).

Die Veränderung der eigenen Weltsicht und damit verbundener Erkenntnismethoden ist nicht einfach. Helfrich und Bollier (2019: 13) fragen, “Wie […] sollten wir dieser merkwürdigen Logik entkommen, nach der wir erst uns und unsere Umwelt erschöpfen, um anschließend beides wieder reparieren zu müssen? […] Wie soll unabhängiges Handeln von Politikerinnen und Bürgern möglich sein, wenn alles von Arbeitsplätzen, Börsennachrichten und dem Wettbewerbsgeschehen abhängt? Wie sollen wir Neues tun, wenn die Grundmuster des Kapitalismus durch uns hindurchgehen und das Gemeinsame unterspülen?” Trotz dieser großen Herausforderung und der Subtilität der Weltsicht sah Silke Helfrich (2021: 129) eine Möglichkeit, dies anzugehen. “Wir können ein anderes Weltverständnis beispielsweise durch eine andere Sprache und angemessene Metaphern kultivieren.” Für diese Transformation entwickelte sie gemeinsam mit anderen die Mustersprache des Commoning als vielschichtiges Multitool.

Die Mustersprache des Commoning transportiert die ontologischen Grundlagen sowohl durch ihre Form als auch durch ihren Inhalt. Sie “bricht mit der Vorstellung, dass Commoning an enge, übersichtliche oder gar identitäre Zusammenhänge gebunden ist und greift zudem durch die ethische und ‚inklusionslogische‘ Fundierung, die in die Muster eingeschrieben ist, über das postmodern Unverbindliche hinaus” (Helfrich & Euler 2021: 53). Menschen werden in ihrer Einzigartigkeit und Vielfalt wertgeschätzt und gleichzeitig als grundsätzlich verbunden wahrgenommen und angesprochen. Die Mustersprache betont den ständigen Prozess der Menschen und ihrer Mitwelt des Werdens miteinander und durcheinander hindurch. Die Gabelung der Natur in Subjekt und Objekt wird dabei aufgehoben. Die im Schöpfungsprozess durch das verkörperte Wissen der Commoner hindurch gemeinsam gefundenen Muster, sind „Werkzeuge für Mitbestimmung und Mitwirkung an der laufenden Weltgestaltung in einem gemeinsamen, kreativen, kooperativen und konsensualen Prozess“ (Leitner 2015: 29). Alle Muster gemeinsam vereinen sich zur Mustersprache und bilden zusammen „in ihrer Einheit das kulturelle Erbe der Menschheit, das uns nur allen gemeinsam gehören kann. Musterbeschreibungen sind eine Form, dieses Erbe miteinander zu teilen und sie für alle Menschen in ihrem jeweiligen Leben und Lebensumfeld verfügbar zu machen“ (ebd.).

Die bisherige junge Praxis mit der Mustersprache des Commoning entfaltet bereits ihre Wirkung. Commoner bleiben nicht mehr „unverstanden und abgeschnitten“ sprachlos zurück (Pourian 2022: 16), wenn sie versuchen ihre Praxis in Worte zu fassen. Sie können ihr Tun mit Bedeutung aufladen, ihre Visionen einer besseren Welt adäquater ausdrücken. Anhand der Muster können Menschen ihre eigene Praxis reflektieren und ordnen. Letztlich darf nicht unterschätzt werden, wie der Gebrauch der Sprache das Denken, Fühlen und Handeln der Sprechenden auf Dauer umstrukturiert und ein Ausrichten an Verbundenheit, Vielfalt und Lebendigkeit zunehmend normalisiert. Sprache und ihre Struktur – ob sie binär in männlich und weiblich unterscheidet oder nicht, ob Zahlen existieren oder nicht, ob sich aus beweglichen Verben aufbaut oder aus Substantiven als festen Entitäten – haben einen großen Einfluss darauf, welche Welt wir denken können. In der Linguistik ist dies ein alter Hut.22 Eine andere Versprachlichung kann also durch Menschen hindurch verändernd auf ihr Denken, Fühlen und Handeln wirken. Denn Menschen haben die Fähigkeit zu werden und sind nicht einfach. Wir können vieles sein. “Der homo oeconomicus ist jetzt, wir werden,” stellt Habermann (2008: 279) richtigerweise fest. Wenn wir aber an diesem Morgen aufstehen und diesen hinter uns lassen wollen, wenn wir tatsächlich mal etwas anderes machen wollen als Kapitalismus (vgl. Graeber 2017: 110), dann ist dies ungleich einfacher, wenn wir unseren gesellschaftlichen Rahmen bewusst so gestalten, dass wir auch Handlungsmöglichkeiten (er-)kennen, die sich an Lebensdienlichkeit ausrichten. Commoning ist dabei nicht bloß eine Alternative unter vielen, sondern, in Silke Helfrichs (2018: 7) Worten, eine “anthropologische Konstante”. Mit dieser Perspektive ist es möglich, eindimensionales Denken zu durchbrechen und zu einem lebendigeren Verständnis der Welt beizutragen.

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1 Euler et al. (2020: 28) sprechen von einem “Practice Turn in der Commons-Forschung”.

2 Um dieser Verdinglichung sprachlich entgegenzuwirken wird der Gemeingüterbegriff, der lange als deutschsprachige Entsprechung des Commons-Begriff galt, mittlerweile kaum noch verwendet.

3 Stout (2012: 391) spricht von “ontologischem Kolonialismus” sowohl außerhalb “westlicher Nationen” als auch innerhalb. Feminist:innen, Indigene und andere sehen sich tagtäglich damit konfrontiert.

4 Es gibt eine scheinbar unendliche Liste von Ethnographien, die damit ringen, relationale Personenvorstellungen in die Sprache unserer westlichen individualistischen Welt zu übersetzen. Beispielhaft für relationale Personenvorstellungen in Europa seien hier Barraud et al. (1994), Strathern (1988) und Carsten (2003) genannt.

5 Intra-Aktion meint hier die Beziehung zwischen zwei menschlichen oder nicht-menschlichen Wesen nach Karen Barad (zitiert in Helfrich & Bollier 2019: 50).

6 Der Versuch bestand aus mehreren Runden, in denen die zur Wahl stehenden Gegenstände variierten.

7 Silke Helfrich (2018: 100) verglich dieses Erfassen mit dem, was Hartmut Rosa (2016) als Resonanzerfahrung bezeichnet.

8 Helmut Leitner bereicherte diesen Text mit dem Beispiel des Musters *Backup* im Sinne einer Reserve als Schutz gegen Ausfall eines lebenswichtigen Elements in vielen unterschiedlichen Lebensbereichen. Es existiert in der IT als Sicherung der wichtigen Daten auf einem zweiten Speichermedium, in Institutionen als Stellvertretungsfunktion bei wichtigen Positionen, in Flugzeugen als Co-Pilot:in, in Familien als Taufpat:innen, in der Biologie als die Verdoppelung von wichtigen Organen, etc.

9 So wie eine mathematische Gleichung mehrere gleichwertige Lösungen haben kann, kann auch eine Gestaltungsaufgabe mehrere Problemlösungen haben, die annähernd gleichwertig (zufriedenstellend, praxistauglich, viabel,…) sind (Kommentar H. Leitner).

10 “Der Diskurs über Prinzipien beschäftigt sich weniger mit diesem vertrackten Spiel der Kräfte und propagiert stattdessen ein Ideal. Prinzipien werden oft als ‚für sich stehende Wahrheit‘ präsentiert. Die Beziehung zu anderen Prinzipien, mit denen sie in Konflikt stehen, gerät aus dem Blick. Wenn man sich zum Beispiel auf die ‚freie Meinungsäußerung‘ beruft, thematisiert das nicht die Spannungen hinsichtlich des ‚Respekts für die Privatsphäre und die Würde Dritter‘“ (Helfrich & Bollier 2019: 92 f.).

11 Commons-Vereinigungen sind Organisationen, in denen die – idealerweise zwischenmenschlichen und mehr-als-menschlichen – Beziehungen und Umgangsweisen durch Commoning geprägt sind (Euler 2020).

12 Cordula Bachmann regte im Expert:innengespräch am 8.3.2022 an, dass die Muster des Commoning mit Hartmut Rosa (2016) aus der heutigen Gesellschaft heraus begründet werden könnten, wodurch die Zwangsläufigkeit der alexanderschen Ontologie umgangen werden könnte. Darüber hinaus stellte Bachmann die Frage, ob dieses Erkennen durch für uns deformierte und versehrte Subjekte gesichert möglich sei.

13 Dies passt zu Jaeggis (2014: 103; H.i.O.) Charakterisierung sozialer Praktiken: “Einzelne soziale Praktiken haben also Voraussetzungen in anderen Praktiken, und sie bieten Anschlüsse für weitere Praktiken. Praktiken sind somit vernetzt mit vielfältigen anderen Praktiken und Einstellungen, in deren Zusammenhang sie ihre spezifische Funktion und Bedeutung erst gewinnen.”

14 Unter vielen anderen Denktraditionen, die außerhalb Europas existieren und viel zu selten in unseren Diskursen Platz finden, sei hier für “ökologische Traditionen” an zahlreiche Kulturen erinnert, die eine beseelte Natur ganz selbstverständlich als Teil ihrer Kosmologie und somit auch Philosophie ansehen (vgl. bspw. Buen Vivir bei Cortez & Wagner 2010).

15 Es sind vier neue Muster hinzugekommen. Der Bereich ‘Selbstorganisation durch Gleichrangige’ wurde durch die Muster *Commonsgemäß finanzieren*, *Einhegungen & Vereinnahmungen dazwischenfunken* sowie *Augenhöhe in & durch Organisationsstrukturen ermöglichen* erweitert und der Bereich ‘soziales Miteinander’ durch das Muster *Selbstverantwortlich & einfühlend kommunizieren*. Zusätzlich wurde das ursprüngliche Muster *Regeleinhaltung commons-intern beobachten & stufenweise sanktionieren* aufgeteilt in *Regeleinhaltung commons-intern beobachten* und *Regelverstöße nachvollziehbar & stufenweise sanktionieren*. Unpubliziert existieren zusätzlich eine Reihe noch unfertiger Muster sowie zu manchen – zum Beispiel *Commonsgemäß finanzieren* – erste Anläufe für spezifische Muster.

16 Diese Anschlussmuster finden sich am Rand der jeweiligen Musterkarte (s. Abbildungen 1, 2, 3).

17 Muster werden deduktiv – also von der Theorie her kommend –, induktiv – von der Empirie ausgehend – und abduktiv geschöpft. In abduktiven Forschungsprozessen wird die Ebene der Beobachtung sowie der praktischen, körperlichen und emotionalen Erfahrung mit der Ebene der theoretischen Vorannahmen und Aussagen verschränkt. Diese abduktive Vorgehensweise scheint mit Blick auf Muster, die “aus der Ordnung der Welt hervor- und ins Bewusstsein getreten” (Helfrich 2018: 106) sind, und Alexanders Spiegel-des-Selbst am passendsten.

18 Die Interviews wurden teilweise als Gruppeninterviews mit bis zu vier Teilnehmenden durchgeführt, zusätzlich wurden zwei mehrere Stunden umfassende Intensivinterviews geführt (Helfrich & Bollier 2019: 320).

19 In Abbildung 4 findet sich am unteren Rand noch die Phase der Bewertung der einzelnen Muster. Dies ist ein üblicher Vorgang und soll kennzeichnen, als wie überzeugend die Muster in ihrer dargestellten Form eingeschätzt werden. So schreiben Helfrich und Bollier (2019: 324 f.): “Bei Mustern ohne * glauben wir, etwas gefunden zu haben, das tatsächlich die Merkmale zusammenfasst, die allen möglichen Arten, das Problem zu lösen, gemeinsam sind. Bei Mustern mit *, gehen wir davon aus, dass eine richtige Lösung des Problems nur möglich ist, wenn die Umwelt in der einen oder anderen Weise entsprechend des Musters gestaltet wird. Muster mit ** kennzeichnen, dass sich eine weitere Untersuchung empfiehlt, um das Muster zu verbessern.”

20 Expert:innengespräch mit Luisa Kleine am 28.2.2022.

21 Expert:innengespräch mit Gottfried Schubert am 26.2.2022.

22 Ein Überblick findet sich bei Gümüsay (2021).