Perspektive Commons-Gesellschaft

,
Commons Utopie

[Bild: Sarah Meretz, Lizenz CC-BY: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]

Heute sind Commons und Peer-Produktion nur ein Element eines gesellschaftlichen Gesamtprozesses, der in großen Teilen ganz anderen Prinzipien folgt. Ist eine Welt möglich, in der die commonsbasierte Peer-Produktion den Gesamtprozess wesentlich bestimmt statt nur eine Nebenrolle zu spielen? Wie könnte eine solche Gesellschaft aussehen?

Heute ist die Wirtschaft im Wesentlichen profitgetrieben – gemacht wird, was finanziellen Gewinn verspricht. In einer Commons-Gesellschaft wird es stattdessen um die Bedürfnisse der Menschen gehen, die heute immer nur Mittel zum Zweck (Profit) sind. Dinge werden hergestellt, gewartet und repariert, Dienstleistungen werden angeboten und Infrastrukturen am Laufen gehalten, weil sie nützlich sind und gebraucht werden. Menschen können sich mit anderen zusammentun und gemeinsam an den Dingen arbeiten, die ihnen wichtig sind – selbstbestimmt und auf Augenhöhe. Niemand muss sich aus Angst vor Jobverlust oder vor staatlichen Sanktionen anderen unterwerfen.

In einer Welt, in der die Bedürfnisse das Profitmotiv ersetzen, verliert das Eigentum im heutigen Sinne seine Bedeutung. Ich lebe in meiner Wohnung, so lange ich das möchte, doch wenn ich in eine andere Stadt ziehe, verkaufe ich sie nicht, sondern gebe sie der Community zurück, die dann jemand anderes findet, der oder die darin wohnen möchte.

Die Verteilung der Güter wird oft per „Flatrate“-Prinzip erfolgen: Alle nehmen sich, was sie brauchen, wenn und weil sie es brauchen. Niemand muss im Elend leben und niemand hat so viel, dass sie oder er gar nicht mehr weiß, wohin damit. Die genutzten Güter fallen nicht vom Himmel, sondern werden kollektiv hergestellt und gepflegt. Niemand muss dabei mitmachen, aber die meisten werden sich auf die eine oder andere Weise beteiligen, weil sie das für sinnvoll halten, weil sie sich nicht langweilen wollen, weil ihnen die übernommenen Aufgaben gefallen oder am Herzen liegen, weil sie so Anerkennung erfahren und ihre Fähigkeiten anwenden und ausbauen können, und auch weil es allgemein üblich ist.

Wie sich die Einzelnen einbringen, hängt davon ab, was es zu tun gibt und was ihnen liegt – ob sie sich um Kinder kümmern, Alte oder Kranke pflegen, Landwirtschaft betreiben, Busse fahren, Fahrräder bauen oder reparieren, Energie- und Wasserversorgung in Betrieb halten usw. Peer-Produktion ist generell „hinweisbasiert“. Wer sich etwas wünscht oder etwas sieht, das im Argen liegt, hinterlässt Hinweise darauf, was zu tun ist. Andere sehen diese Hinweise und wer sich selbst für geeignet und die entsprechende Aufgabe für relevant hält, beteiligt sich dann vielleicht an ihrer Erfüllung. So können sich die Menschen selbst aussuchen, auf welche Weise sie sich in den gesellschaftlichen Prozess einbringen.

Wer sich dem ganz verweigert, hat keine Sanktionen zu erwarten, aber vielleicht schiefe Blicke und kritische Fragen von Nachbarinnen und Freunden. Doch vermutlich dürfte auch solcher „sanfte Zwang“ nur selten nötig sein, denn die wenigsten Menschen werden sich freiwillig damit zufrieden geben, dauerhaft immer nur von anderen abhängig zu sein, ohne selbst etwas für die anderen zu tun und damit die einseitige Abhängigkeit in eine gegenseitige zu verwandeln.

Aber würde das Flatrate-Prinzip nicht zu allgemeiner Übernutzung führen – würden nicht alle einen Mercedes fahren und eine viel zu große Wohnung bewohnen wollen? Wohl nicht, denn teure Autos und Luxuswohnungen sind heute ein Statussymbol. Man leistet sie sich zu einem guten Teil, um zu zeigen, dass man sie sich leisten kann, und um sich so von der Masse abzusetzen. Dieser Effekt würde entfallen, denn was frei verfügbar ist, kann kein Statussymbol sein.

Generell wird es darum gehen, die (re)produktiven Infrastrukturen so zu gestalten, dass niemand zu kurz kommt – also Lösungen zu finden, die allen ein Leben gemäß ihren individuellen Vorstellungen und Wünschen ermöglichen. Dabei kommt es im Zweifelsfall darauf an, auf die „Bedürfnisse hinter den Bedürfnissen“ zu schauen – hinter dem Wunsch, ein bestimmtes Auto zu fahren, steckt etwa das Bedürfnis nach Mobilität. Ein Mercedes für jede_n ist ein Ding der Unmöglichkeit, aber eine flexible Verkehrsinfrastruktur, die Mobilität für alle ermöglicht – und dafür z.B. auf Fahrräder, Busse und Bahnen sowie Fahrzeug-Pools setzt –, ist machbar.

In einer Commons-Gesellschaft gäbe es immer noch vieles zu tun, aber längst nicht mehr so viel wie heute. Heute stehen Firmen in Konkurrenz zueinander und müssen versuchen, ihren jeweiligen Konkurrenten das Leben so schwer wie möglich zu machen, den eigenen Marktanteil auf deren Kosten möglichst stark zu erhöhen und jedes verkaufte Gut möglichst bald durch ein Nachfolgeprodukt zu ersetzen. Peer-Produzenten ähnlicher Güter werden sich dagegen abstimmen, um kollektiv für die bestehenden Bedürfnisse zu produzieren. Sie können ihr Wissen miteinander teilen und langlebige sowie leicht reparierbare Produkte entwickeln, von denen die Nutzerinnen möglichst viel haben – schließlich produzieren sie für deren Bedürfnisse, nicht für den Profit. Außerdem werden ganze Wirtschaftszweige wegfallen – etwa das Finanzwesen, der Immobilienhandel und die Rüstungsindustrie –, weil sie niemand mehr braucht.

Eine Commons-Gesellschaft wird kein Paradies sein, nicht alles wird einwandfrei funktionieren und es wird weiterhin zahlreiche Konflikte und Meinungsverschiedenheiten geben. Aber der Zwang, sich systematisch gegen andere durchsetzen zu müssen, entfällt. Stattdessen wird es möglich, Lösungen zu finden, bei denen niemand auf der Strecke bleibt, weder Menschen noch Natur.

Vgl. dazu auch weitere Überlegungen zu Utopie und Transformation.